Cardinal Sessions: Ein Abend im Festival-Rausch
Verfasst von Tom Sinke am
Vergangenen Samstag endete die fünfte Runde der Festival
Tour im Kölner Gebäude 9. Wir haben präsentiert und waren vor Ort.
Vor gut einer Woche stolperte ich über altes Konzertmaterial aus den Achtzigern: The Police in der Hamburger Markthalle. Drei junge Männer in ihren besten Jahren mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Mikrofonen. Mehr nicht. Was ist heute übrig geblieben, von dieser klassischen Bandbesetzung? Zu gerne hätte ich Sting und Co mit aufs Cardinal Sessions genommen und mir diese Frage von ihnen beantworten lassen. Ich kann nur annehmen, die Aussagen wären positiv ausgefallen.
Denn auch hier findet man auf der Bühne das Set-Up wieder, mit dem The Police vor 37 Jahren ihre Fans in Ekstase gespielt haben.
Einziger Unterschied: Jedes der Bandmitglieder führt heute zum klassischen Rockband Instrument eine elektronische Komponente mit sich. Der Drummer tauscht eine Tom gegen ein Sample Pad, der Bassist wechselt zwischen 4-Saiter und Synthie, der Gitarrist feuert nebenbei elektronische Sounds ab und auch das Gesangsmikro ist auf einem Effektboard montiert. So produziert die Band Leyya Ihre Sounds und könnte dabei wohl kaum eindeutiger demonstrieren, wie man heutzutage ausgereifte Popmusik macht. Der Output ist nah an der Perfektion (fast schon zu nah) und schreit förmlich danach, auf größeren Bühnen aufgeführt zu werden.
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Den Bezug zu den Wurzeln der handgemachten Musik kann man auf dem Cardinal Sessions Festival wunderbar miterleben, wenn man brav den Bühnenwechsel im 45 Minutentakt mitmacht. Jeder Act, der im Hof des Gebäude 9 auftritt, während im Hauptraum umgebaut wird, kommt nämlich ganz ohne Synthies und Samples aus. Da spielt der bärtige Berliner Dennis Grimm unter dem märchenverzauberten Namen "Brother Grimm" dunkle bluesige Stücke mit Herz. Der Whiskey schlürfende und äußerst sympathische Ire, Sion Hill, klopft Ed Sheeran mäßig auf seiner Klampfe rum und schafft es in fast jedem Song das Publikum zum Mitsingen zu animieren. Zuletzt betritt Freddie Dickson die sieben Quadratmeter große Bühne im Innenhof und spielt seine hoch emotionalen Kompositionen roh und unverfälscht, nur mit der Semi Akustik. Das Publikum - übrigens nur in Einzelfällen älter als 30 - bildet einen Halbkreis um die kleine Bühne, sitzt auf dem nackten Beton oder hängt rauchend am veganen Burgerstand. Alle wirken zufrieden und dankbar. Das scheint neben dem großartigen und wirklich hochwertigen Line-Up, welches das Cardinal Sessions in Zusammenarbeit mit Landstreicher Bookings auf die Beine stellt, auch an dem Konzept zu liegen. Große Bandsounds wechseln sich mit intimen Akustikmomenten ab, man muss keinen Umbau abwarten und schwankt zwischen Freiluft-Atmosphäre und umwerfend gut ausgeleuchteter Hauptbühne. So gefällt das allen.
Zu späterer Stunde soll dann klar werden: Der Headliner ist in Köln nicht gleich der Headliner auf dem Timetable. Als vorletzte Band tritt das Kölner Trio Woman zum Heimspiel an. Im Anschlag ihr frisch erschienenes Debüt-Album Happy Freedom. Als Sänger Carlos Hufschlag im unförmigen Hawaiihemd ans Mikro tritt, braucht er noch genau 10 Sekunden, um das heimische Publikum für sich zu gewinnen. Normalerweise verbringe er seine Abende hier an der Bar und gucke nur von weitem auf die Bühne, heißt es. Womans Dankbarkeit darüber, in diesem Moment selbst auf der Bühne stehen zu dürfen, ist so authentisch wie Ihre Musik selbst. Auch hier fehlt es natürlich wieder nicht an Samples und Synth-Sounds, allerdings tragen die Songs wie "Psychedelic Lover" oder "Marvelous City" auch eine dreckige, fast rockige Note. Das ist real. Dafür verantwortlich könnte die Gitarrenarbeit von Manuel Tran sein, der mit relativ simplen aber doch passenden Licks zeigt, dass drahtige Sounds mit mehr Gain auch heute noch sehr gut in Popmusik zu verarbeiten sind. Stellenweise fühlt man sich an die sexy Gitarre der Austropop-Anführer Bilderbuch erinnert. Hat Woman- und Bilderbuch-Produzent Zebo Adam hier seine Handschrift hinterlassen? Spielt keine Rolle, denn Woman klingen fantastisch. Bei engen Sets von 45 Minuten ist auf dem Minifestival typischerweise keine Zugabe eingeplant. Woman müssen sich dem Applaus ergeben und nochmal zurück auf die Bühne.
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Nach dem Konzert sagt eine Besucherin neben mir: „Jetzt ist’s mir egal, ich hab alles gesehen für heute.“ Der eigentliche Headliner steht aber noch an. "The Rumour Set Fire" aus Dänemark müssen sich mit einer nicht ganz gefüllten Halle zufrieden geben, die Laune im Publikum ist nach wie vor gut, der Sound auf der Bühne solide und tanzbar. Und sieh mal einer an: Die Bandbesetzung ist klassisch, ohne viele Knöpfe. Nur in der Ecke versteckt sich ein Keyboarder. Voll eighties.
Ich denke, wäre Sting heut hier gewesen, hätte ihm das am besten gefallen. So gut wie alles andere war, würde er aber auch sicher zu Runde 6 der Cardinal Sessions kommen.