KulturImpuls | Deep Thought - Guggenheim NYC
Verfasst von Nathalie Ladermann am
Kunst, das Universum und der ganze Rest
Gewaltige, weiße Balken schweben neben dem Central Park. Zwischen den Wolkenkratzern versteckt sich eine Art umgekehrter Trichter aus Beton - das Guggenheim. Man könnte jetzt viele Vergleiche zur Architektur ziehen, es ist aber wohl keiner so aufdringlich, wie der, den uns der Museumsshop noch schnell beim Rausgehen mitgibt: Ein Helm in Form des Museums (69,90$). Um die Erzeugnisse von Artshop-Sortimenten soll es hier aber nicht gehen.
Das Guggenheim will anders denken als andere Museen. Die Architektur zeigt das, vor allem im Inneren. Frank Lloyd Wright lässt uns in einer Spirale bis knapp unter die gläserne Kuppel steigen und am Rande dieses Aufgangs werden die Sonderausstellungen gezeigt. Eine Spirale, ein Raum, eine Ausstellung. Von jedem Punkt sieht man hier Besucher auf anderen Ebenen der Ausstellung und Teile von anderen Werken, an manchen Stellen verdeckt von den weißen Handläufen an der Innenseite der Gänge. Wright erlaubt es jedes Werk an der Peripherie dieser Spirale anders anzuschauen, als Werke in vielen anderen Museen. Es gibt hier keine Architektur, die uns mit der Ankündigung im Nacken steht: „Hey, in den nächsten 20 Räumen gibt es noch weitere 100 unglaublich bedeutende Werke, geh hier also besser nicht zu weit in die Tiefe“. Eine Dozentin von mir nannte das Guggenheim kürzlich noch den „Traum eines jeden Kunsthistorikers“. OK, sie tat dies mit einem Schmunzeln, aber dennoch: Einen gewissen Mythos gibt es, über das Haus der Kunst an der 5th Avenue. Also oh, Guggenheim wir möchten, dass du uns die Antwort sagst: Was ist Kunst?
Aber mal von Anfang - Was zeigt es
eigentlich gerade?
Mit Werken von 71 Künstlern reflektiert die
aktuelle Sonderausstellung „Art and China after 1989“ die Situation von
Kunstschaffenden in China nach dem Kalten Krieg. In dieser Zeit beginnt China mit reformatorischen
Maßnahmen wie der teilweisen Öffnung seiner Wirtschaft. Unter einer autoritären
Aufsicht entstehen neue Möglichkeiten für den Einzelnen, allerdings unter
strengen Regulierungen. Wichtige Impulse in der Ausstellung des Guggenheims geben
Themengebiete wie die Stellung des Einzelnen zur Masse. So wird zum Beispiel die
Beziehung von Individuum und Staat erkundet.
Diese Erkundung geschieht aber auch in abstrakteren Formen. Ein Beispiel:
Der Künstler Qui Zhije ist mit einer Multimedia-Installation vertreten. In
einer Vitrine ist ein Schriftstück ausgestellt. Die einzelnen chinesischen
Zeichen sind darauf so häufig übereinandergeschrieben, dass eine einzige
schwarze Fläche entstanden ist. Nur an den Rändern erkennt man noch Teile von
Zeichen, die aus der Fläche herausragen und die Konzeption des Werkes erst
verraten. Ein Video direkt über der Vitrine zeigt den Entstehungsprozess eines
ähnlichen Schriftstücks. Die Information des einzelnen Zeichens verschwindet in
der Masse und diese Überforderung wird auf die Besucher übertragen. Der
Durchblick wird nicht gewährt und ganz unabhängig davon, ob die Sprache
verstanden wird, ist die Installation so schon allein visuell nicht komplett
erfassbar.
Insgesamt ist ein großes Spektrum von Medien in der Ausstellung vertreten, von Skulptur, Malerei über Video(-spiele) bis zu hin zu Underground-Publishing ist eigentlich alles dabei. Die Kuratorin Alexandra Munroe scheint mit dieser Überblicksausstellung also nicht nur thematisch möglichst alles abdecken zu wollen. Es ist eine inhaltlich sehr breite Ausstellung, daher lohnt sich der zusätzliche Blick in den Ausstellungs-Katalog.
Neben der Sonderausstellung zeigt das Guggenheim seine Dauerausstellung. Auf verschiedenen Ebenen, die von der Spirale abgehen, sieht man zum Beispiel die Sammlung abstrakter und Surrealistischer Skulpturen und Malerei von Peggy Guggenheim oder impressionistische Werke aus der Sammlung Justin K. Thannhauser‘s. Das Guggenheim orientiert sich an frühen Ausstellungen von Peggy Guggenheim. Beeinflusst von den Surrealisten entwarf sie Ausstellungsräume, die mit Normen brachen. Von geschwungenen Wänden ragten, teilweise drehbar, Gemälde in den Raum, an ungewöhnlichen Stellen unterbrachen verschieden große Bühnen die Form der Architektur und zeigten Werke aus den Sammlungen. Das Guggenheim Museum spielt nicht nur durch seinen spiralförmigen Aufgang darauf an. Es gibt kleine, unterschiedlich geschwungene Einbuchtungen in der Architektur, die als Galerien für die Werke dienen und diese räumlich etwas von anderen Werken abtrennen. Insgesamt scheint die Ausstellungsführung zwar auf den ersten Blick sehr linear und eindeutig, die Abgänge zur Dauerausstellung aber unterbrechen diese Klarheit an Stellen der Architektur, die am Anfang nicht ersichtlich sind.
Ist mein Vergleich mit Douglas Adams‘ Supercomputer „Deep Thought“ also angebracht?
Sicher die Ideen, alles anders zu
machen, sind hochtrabend. Die Spirale als Verbindung zu Fibonacci, also zu
großen mathematischen und kunsthistorischen Konzepten, ist mit Sicherheit
nicht zufällig. Antworten auf die großen Fragen hat mir das Guggenheim natürlich nicht gegeben, aber das Museum gibt Antworten auf viele andere Fragen der
zeitgenössischen Kunstgeschichte. Allein durch seine Architektur verändert das
Guggenheim die Gangart in einem Museum. Der Rückgriff auf die Gestaltung von
Ausstellungen á la Peggy Guggenheim ist es zwar nicht super aktuell,
aber dennoch es verändert etwas und das auf einer Bühne, die international Besucher
anzieht.
Thematisch würde ich das ähnlich einordnen. Mit der Sonderausstellung „Art and China after 1989“ thematisiert das Guggenheim Kunst, die museumsgeschichtlich gesehen bisher eher abgeschottet von “westlicher Kunst“ gezeigt wurde: Für jede Kunst ein eigenes Museum. Das hat wohl auch mit veralteten, bourgeoisen Bildungskonzepten zu tun, aber eine Öffnung dieser steifen Kategorien in großen Museen ist lange überfällig. Am Ende sollten wohl auch wir bei einem Museumsbesuch einfach mal andere Fragen stellen, denn sonst bleiben auch die Antworten auf unsere Fragen so vage und unbefriedigend wie „42“.