„Juhuuuuuuuuuuulllliiiiaaaaaaaaa!!!“
Verfasst von Giselle Ucar am
Fast klingt der Ruf der Amme nach Julia wie das „Rooooooobäääääärrrt“ der Millionärsgattin Carmen Geiss: Leicht prollig, schräg und modern - Attribute, die in der aktuellen Inszenierung von Shakespeares „Romeo und Julia“ von Pinar Karabulut am Schauspiel Köln immer wieder in den Vordergrund rücken.
Das
Depot 1 in Köln-Mühlheim umgibt ein bestimmtes Flair. So, wie es hergerichtet
wurde, strahlt es etwas Urbanes, etwas Szeniges, etwas Hippes und Provisorisches
aus. Und trotzdem (oder gerade deswegen) vergisst man nicht, dass man in Köln
ist. Da passt es also gut, dass der Maskenball der Capulets in der am Sonntag
dort stattgefundenen Premiere von „Romeo und Julia“ wie eine Technoparty an
Karneval daherkommt. Wie im Rausch tanzen Shakespeares Charaktere schon direkt
zu Beginn der Inszenierung kostümiert und voneinander isoliert in Glaskabinen vor
sich hin. Dazu gibt es Techno-Licht, Techno-Mucke und Nebel.
Vor dem bühnenfüllenden Glaskasten mit den Kabinen findet sie dann statt, die Begegnung aller Begegnungen: Romeo trifft auf seine Julia! Alles andere im Hintergrund läuft für wenige Momente in Zeitlupe ab.
Die
beiden Protagonisten der Tragödie sind – wie alle anderen auch – bei ihrem
ersten Aufeinandertreffen kostümiert und geschminkt. Nur dass ihre Kostüme
unabgesprochen zueinander passen. Sie tragen beide einen dunklen Anzug mit
Fliege und haben sich mexikanische Totenmasken ins Gesicht gemalt. Schon an
dieser Stelle also der erste Hinweis auf das, was kommt. Und auch die eingesetzte
Musik wirkt an manchen Stellen wie ein Vorbote. Wenn die Techno-Beats nämlich mal
verstummen, bleibt ein düsteres, sphärisches Wummern, das bedrohlich klingt.
Regisseurin
Pinar Karabulut, die jetzt schon mehrfach in Köln inszeniert hat, wagt sich mit
„Romeo und Julia“ an ein Monstrum, das sie gekonnt bändigt. Vor allem durch den
Text. Der wurde nämlich mutig gekürzt, modernisiert, überspitzt und verändert.
Das heißt nicht, dass die gewohnten Shakespeare-Verse ganz verschwinden. Sie
werden einfach durchmischt mit moderner Alltagssprache. Manchmal sogar mit
Witz, Wortspielen, kalenderspruchartigen Aussagen oder Gesangseinlagen. Dass
das alles wie selbstverständlich zusammengeht und irgendwie passt, ist
faszinierend.
Genauso faszinierend, wie das extreme Gebrülle mancher dieser
Textstellen. Z.B. brüllt Kristin Steffen sehr viel. Dadurch wirkt ihre Julia
wie ein verzogenes, psychisch labiles Bonzenkind, das verroht ist und einfach
alles rauslässt, wenn ihm danach ist. Und wenn die Amme nach ihr ruft, dann gerne
mit langgezogenem und schrill melodiösem hohen „U“. Die
„Juhuuuuuliaaaa“-Betonung der Amme bleibt auf jeden Fall in Erinnerung und bildet
einen schönen Kontrast zum Tonfall der anderen Darsteller.
Es ist aber nicht nur der veränderte Text, der dem Publikum das ein oder andere Mal ein Schmunzeln entlockt. Auch die Kostümabteilung war kreativ. Pater Lorenzo erkennt man als Geistlichen beispielsweise nur noch dank seiner Silberkette mit den vielen kleinen Kreuzen, die er um den Hals trägt. Sonst sieht er eher aus, wie ein Ehrenfelder Hipster mit Adidas-Sneakers, Jackett und obligatorischem Singer-Songwriter-Hut, der einfach mal mitten auf der Bühne in einen yogamäßigen Kopfstand geht.
Die
Darsteller sind durchweg gut. Sie spielen körperlich, dynamisch, sicher,
intensiv. Dazu verhilft sicherlich auch das Bühnenbild. Der Glaskasten nimmt
zwar fast die ganze Bühne ein, davor ist aber noch genug Platz zum Rumrennen.
Außerdem sind die einzelnen Kabinen im Glaskasten durch Drehtüren miteinander
verbunden (wer schon mal Sketche mit Drehtüren gesehen hat, weiß, wie viel spielerisches
Potenzial so ein Konstrukt hat). Manchmal wirkt es sogar, als bewegen sich die
Figuren in einem Labyrinth oder einem Spiegelkabinett.
Auf
die hintere Wand der Kulisse werden Videoszenen projiziert, die Romeo, Julia und
alle anderen Beteiligten filmisch in den jeweiligen Situationen zeigen, die sich eigentlich gerade auch parallel auf der Bühne abspielen. Das Videomaterial ergänzt das Geschehen auf der Bühne aber noch.
Ähnlich kommen auch Audio-Einspielungen zum Einsatz. Denn während am Ende des dritten Aktes Romeo und Julia
auf der Bühne
kommentarlos und eng umschlungen ihre
Zweisamkeit genießen, hört man nur durch die Audio-Einspielung, dass sich gerade
der berühmte Dialog um die Frage, ob es denn schon die Lerche oder noch die
Nachtigall sei, ereignet.
Wenn so viel auf der Bühne passiert, müssen auch im Theater schon mal Darsteller durch Mikros verstärkt werden. Daran gibt es nicht viel auszusetzen. Aber wenn dann ein Darsteller rechts hinten steht und spricht, seine Stimme aber so laut aus den Lautsprechern kommt, als stünde er ganz vorne, kann man als Zuschauer nicht mehr unbedingt lokalisieren, wer genau in dem Moment von welcher Position aus spricht. Das ist ein bisschen schade.
Das Ende dieser Inszenierung ist dann nochmal überraschend und erinnert ein bisschen an Christopher Nolans „Inception“. Während man in der Schlussszene bei Nolan fiebernd auf einen Kreisel starrt und sich fragt, ob die Hauptfigur Dom Cobb in diesem Moment wach ist oder schläft, bleibt in Karabuluts Inszenierung unklar, ob Julia ihrem Romeo wirklich in den Tod folgt.
Zugegeben, diese Inszenierung ist mal was anderes und vielleicht nicht das, was man von einem Shakespeare-Stoff erwartet. Andererseits kann ein solcher Klassiker nur auf genau solchen "unkonventionellen" Wegen heute noch bestehen. Und in Kombination mit einer kreativen Regiearbeit und beneidenswerter Leistung der Darsteller haben es alle Beteiligten am Schauspiel Köln geschafft, der Tragödie neuen Glanz zu verliehen. So muss das sein - I like!