Studienabbruch - Gescheitert oder mutiger Neustart?
Verfasst von Eileen Michalski am
Fast ein Drittel der Studierenden in Deutschland verlässt die Hochschule ohne einen Abschluss. Hoher Leistungsdruck, fehlende Motivation und finanzielle Sorgen erschweren das Studium. Die Online-Lehre der letzten Semester hat diese Herausforderungen noch zusätzlich verschärft.
Umwege gehen und neue Ziele finden
Nach dem Abitur beginnt Niklas ein duales Studium in einem Verlag. Er macht eine Ausbildung zum Industriekaufmann und einen Bachelor in BWL. Schon im ersten Semester merkt er, dass BWL nicht das richtige Studienfach für ihn ist und entscheidet sich, zu Wirtschaftspsychologie zu wechseln. Zwar findet er die meisten Inhalte im neuen Studiengang interessanter, aber die Zweifel nehmen zu. Auch die Arbeit im Verlag ist nichts, was er sein Leben lang machen will. Nach mehreren Semestern gesteht er sich ein, dass sein duales Studium und dessen berufliche Perspektiven ihn nicht glücklich machen.
Während seiner Schulzeit hatte Niklas ein Praktikum im Krankenhaus gemacht. Die Idee, Medizin zu studieren, verwarf er damals aufgrund seiner Abiturnote, aber sie ließ ihn nie endgültig los. Also meldet er sich für den Test für medizinische Studiengänge (TMS) an und bereitet sich intensiv darauf vor. Nebenbei führt er sein duales Studium fort. Als er das Testergebnis erhält und ihm klar wird, dass das Medizinstudium nicht länger ein unrealistischer Traum ist, entscheidet er sich für einen Studienabbruch. Niklas beendet noch erfolgreich seine Ausbildung. Danach beginnt er einen Bundesfreiwilligendienst in der Thoraxchirurgie eines Krankenhauses, um seine Chance auf einen Studienplatz weiter zu verbessern. „Anderthalb Jahre nachdem ich beschlossen habe, Medizin studieren zu wollen, bin ich immer noch nicht an diesem Punkt angelangt. Ich fiebere auf diesen Studienplatz hin, aber ich bin noch nicht da und trotzdem war es eine der besten Entscheidungen mein Studium abzubrechen. Denn je länger ich darauf zurückschaue, desto weniger verstehe ich, warum ich mir das überhaupt fünf Semester lang angetan habe“, erzählt Niklas, 22.
Ursachen für einen Studienabbruch
Ein Studienabbruch liegt vor, wenn Studierende ein Erststudium an einer deutschen Hochschule beginnen, aber diese ohne einen Abschluss wieder verlassen. Dazu zählen Bachelorstudiengänge, Staatsexamensstudiengänge sowie das konsekutive Masterstudium. Fachwechsel, Hochschulwechsel oder ein erfolgloses Zweitstudium werden hingegen nicht als Studienabbruch gezählt. Im Jahr 2018 lag die Studienabbruchquote im Bachelorstudium bei insgesamt 27 %, wobei ein Unterschied zwischen Universitäten (32 %) und Fachhochschulen (23 %) zu beobachten ist. Im Durchschnitt brechen Studierende ihr Bachelorstudium nach 3,8 Fachsemestern ab, wobei sich die meisten bereits in den ersten beiden Semestern dazu entschließen. Vor allem Studierende in den Geisteswissenschaften (43 %), in Mathematik und in den Naturwissenschaften (38 %) verlassen die Universität vermehrt ohne Abschluss.
Es gibt bestimmte Merkmale, die zu einer höheren Abbruchwahrscheinlichkeit führen. Beispielsweise haben Studierende mit Migrationshintergrund oder aus niedrigen Bildungsschichten eine höhere Abbruchwahrscheinlichkeit. Im Vergleich zu Abiturienten, die vom Gymnasium direkt zur Uni wechseln, brechen Personen, die ihre Hochschulzugangsberechtigung über einen alternativen Bildungsweg erworben oder zuvor schon eine Ausbildung abgeschlossen haben, häufiger ab. Eine gute Abiturnote und fachliches Interesse an den Studieninhalten korrelieren hingegen mit einem erfolgreichen Studienverlauf. Wenn die Studienwahl eher aufgrund extrinsischer Motive erfolgt, weil die Studierenden sich vorrangig an der Arbeitsmarktlage und den späteren Verdienstaussichten orientieren, erhöht sich das Abbruchrisiko ebenfalls.
Während des Studiums haben viele Studierende mit Leistungsdruck, schlechten Prüfungsergebnissen und Motivationsproblemen zu kämpfen. Sie stellen infrage, ob sie sich mit ihrem Studienfach ausreichend identifizieren oder ob ein Studium überhaupt das Richtige für sie ist. Nebenjobs oder andere Tätigkeiten stellen grundsätzlich keine größere Gefahr für einen Studienabbruch dar, solange der zeitliche Umfang nicht zu groß wird. Weiterhin haben sowohl finanzielle Schwierigkeiten, als auch Erkrankungen oder schwierige Lebensbedingungen im Allgemeinen einen Einfluss auf einen Studienabbruch.
Einfluss von Corona-Pandemie und Online-Lehre
„Stellenweise werden die aktuellen Studienbedingungen tatsächlich als Grund für einen Studienabbruch genannt, aber die grundlegenden Gründe haben sich nicht großartig geändert. Finanzielle Schwierigkeiten haben sich logischerweise nochmal verschärft und die Motivation im Online-Studium aufrechtzuerhalten fällt vielen noch schwieriger”, erklärt Jan Grun von der Zentralen Studienberatung der Universität zu Köln. „Vor allem die Wahrnehmung dieser Schwierigkeiten hat sich aber geändert. Beim Studium in der jetzigen Form, fallen viele ‘nicht prüfungsrelevante’ Elemente weg und ich bin dem Lehrstoff sehr viel intensiver ausgesetzt. Positive Ablenkungen von diesen Inhalten wie zum Beispiel Gespräche mit Kommiliton*innen, gemeinsame Pausen in der Mensa oder auf dem Campus, generell sozialer Kontakt und Austausch, Praktika, Auslandssemester, Aktivitäten in Hochschulgruppen und auch allgemein das Leben als Studierende*r in einer Großstadt fallen weg und es fällt dadurch oftmals sehr viel früher auf, dass das eigentliche Studium in dieser intensiven Form vielleicht doch gar nicht so viel Spaß macht.”
Hilfe annehmen und Lösungen finden
„Zweifel an seinem aktuellen Studiengang bzw. Lebensweg zu haben ist erstmal gar nicht ungewöhnlich und daher geht es an erster Stelle immer erst mal darum, gemeinsam zu schauen, warum es eigentlich aktuell nicht läuft und was Schwierigkeiten bereitet, bevor man vorschnelle Entscheidungen trifft. Oftmals ist dies schon gar nicht so einfach, aber auch sehr hilfreich”, so Jan Grun. Die Zentrale Studienberatung der Universität zu Köln besitzt ein 360 Grad Beratungsangebot für Studierende, die mit ihrer Situation unzufrieden sind und an ihrem Studium zweifeln. Die Beratung bietet einen geschützten Raum, um über individuelle Probleme, Zweifel und Lösungen zu sprechen. “Manchmal reicht es, seine Motivation nochmal neu zu klären, manchmal muss ein neuer Studiengang her, eine Berufsausbildung oder ein ganz anderer Weg – da kann es in alle Richtungen gehen. Hierzu haben wir ein breites Beratungsnetzwerk, welches dann auch nochmal beim weiteren Weg unterstützen kann, je nach Anliegen.”
Immer noch ein Tabu?
„Ich habe zum Großteil wirklich positive Erfahrungen gemacht", meint Niklas. „Die meisten Leute fanden es gut, dass ich meinem Traum nachgehe. Ich glaube, dass man nicht mehr per se als jemand stigmatisiert wird, der seine Sachen nicht zu Ende bringt oder als ein Fähnchen im Wind. Es kommt darauf an, eine Alternative für die Zukunft zu haben. Nicht nur, um es anderen gegenüber zu rechtfertigen, sondern vor allem, um sich selbst ein bisschen den Druck aus der Situation zu nehmen. Letztendlich war das wirklich eine gute Entscheidung, das Studium abzubrechen. Ich bin auf jeden Fall dankbar für die Unterstützung, die ich aus meinem Umfeld erhalten habe, und dass die Leute positiv darauf reagiert haben." Auch Jan Grun sieht eine positive Entwicklung: „Es wird zumindest immer mehr akzeptiert und wertgeschätzt und nicht zwangsläufig negativ ausgelegt. Wir haben heute glücklicherweise sehr viel individuellere Lebensverläufe und Freiheiten, die eine unglaubliche Bandbreite an Lebens-, Ausbildungs- und Studienwegen ermöglichen, aber natürlich auch Druck erzeugen, sich entscheiden zu müssen. Zur Wahl stehen allein schon über 20.000 verschiedene Studiengänge und über 300 Ausbildungsberufe. Dass man hier nicht sofort immer richtig liegt, kann passieren und dann kann man nachjustieren oder nochmal etwas ganz anderes machen.” Ein Studienabbruch muss also nicht bedeuten, dass man versagt hat und die Karriere endet, bevor sie richtig begonnen hat. Stattdessen ist es mutig, sich einzugestehen, dass möglicherweise doch ein persönlicher Neuanfang notwendig ist, um sein berufliches Glück zu finden.
Beratungsangebote:
Zentrale Studienberatung der Uni Köln:
Quellen:
Heublein, U., Richter, J., & Schmelzer, R. (2020). Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland (DZHW Brief 3/2020). Hannover: DZHW. https://doi.org/10.34878/2020.03.dzhw_brief
Neugebauer, M., Heublein, U. & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland: Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Z Erziehungswiss 22, 1025-1046.
https://doi.org/10.1007/s11618-019-00904-1
Bild: geralt / Pixabay