Reportage: Juwelen stehlen im Rudel
Verfasst von Chiara Bachels am
Es ist Samstagnachmittag in Köln, den ganzen Tag herrschen
einstellige Temperaturen gepaart mit Dauerregen. Nastasia Iwanowska ist seit
zehn Uhr morgens unterwegs – draußen: „Ich bin komplett durchgefroren und nass
– können wir das Interview bei mir zu Hause führen?“ An Wochenenden, die die
meisten nutzen, um runterzukommen vom stressigen Alltag, erreicht ihre
Arbeitswoche den Höhepunkt. Als Hundefachfrau und -trainerin richtet sie sich
nach ihren Kund:innen. Erst seit Januar ist ihre Website online und bereits
jetzt boomt das Dienstleistungsgeschäft.
"Das kann nicht alles gewesen sein"
Dabei sollte ihr Lebenslauf erst einen anderen Weg einschlagen. Nach dem Abitur studiert Nastasia Dentalhygiene und arbeitet in einer Praxis. Schnell hat die heute 28-Jährige genug von Hierarchien, die ihr in dieser Branche begegnen. Der Kontrast zwischen angehender Akademikerin in der Uni und Hilfskraft in der Praxis sei sehr groß gewesen, außerdem fehle dem Beruf eine angemessene Anerkennung in Deutschland. „Ich habe Panik bekommen, weil ich dachte: das kann nicht alles gewesen sein.“ Schlagartig verändert ihr Leben sich 2016 mit einem bulgarischen Straßenhund, den sie über den Tierschutzbund adoptiert. Es folgt eine kräftezehrende Zeit, denn Lasse beißt und ist aggressiv – für die damals unerfahrene Tierhalterin ein Alptraum. Nastasia ist unterbezahlt, die Hundeerziehung fordert viel Zeit und Geduld. Schließlich entschließt sie sich, statt selbst Trainingsstunden zu nehmen gleich die Ausbildung zur Hundetrainerin zu machen.
Selbstbewusst durch den umkämpften Arbeitsmarkt
Nach einer solchen Ausbildung führen die meisten Wege in die Selbstständigkeit. Dabei ist diese Orientierung keine Seltenheit: seit 2000 hat sich die Zahl der Freiberufler:innen mehr als verdoppelt. Insbesondere die Generation Y sehnt sich nach Flexibilität und Selbstbestimmung. „Ich will mal meine eigene Chefin sein“, weiß auch Nastasia schon früh, „Und zwar eine bessere als viele, die es gerade gibt“. Das unterstreicht auch ihr Auftritt im Netz. Ruft man auf ihrer Homepage Reservoir Dogs den Punkt Gassi-Service auf, erleuchten fünf Hundeschnauzen in einer herbstlichen Kulisse den Bildschirm. Aufrecht hält Nastasia deren Leinen in beiden Händen, ihr Blick richtet sich entschlossen und selbstbewusst in die Kameralinse. Das Bild könnte glatt ein Ausschnitt des gleichnamigen Taranitno-Films sein. Der einzige Unterschied: Nastasia trägt, wie auch auf allen anderen Fotos, ein Lächeln. „Freundlich und bestimmt“ möchte sie als Trainerin und Unternehmerin auftreten.
Jedoch geht eine souveräne Attitüde nicht schlicht einher mit der Anmeldung eines Gewerbes. Während der Trainer-Ausbildung sei der Konkurrenzdruck groß. Zwischen den Anwärter:innen herrsche nahezu ein Wettbewerb um Wissen und Erfahrung. „Man lässt sich schnell verunsichern“, gibt die junge Kölnerin zu, „Du musst für dich selbst einstehen“. Als ehrenamtliche Tierschützerin ist ihr Umgang mit den Tieren sensibler als bei einigen Kolleg:innen aus dem Zuchtbereich. Sie hofft, Kund:innen abholen zu können, bei denen das Training mit konventionellen Methoden nicht anschlägt.
Die Arbeit mit Lebewesen erfordert Hingabe
Statt Hundeerziehung zu einer Zerreißprobe für Tier und Halter:in zu machen, möchte Nastasia mit Empathie und Ehrlichkeit arbeiten. Scheitern und Ängste gehören bei der Erziehung dazu. Diese Philosophie offenbart sich nicht zuletzt bei ihrem eigenen Hund. Der weiße Owtscharka-Rüde empfängt Gäste in seinem Zuhause schwanzwedelnd mit einem treuen Blick. Jedoch holt er seine Gäste wider Erwarten nicht sofort am Eingang ab. Erst gibt Nastasia eine Warnung noch an der Türschwelle ab: er kann noch immer beißen, wenn Fremde Körperkontakt zu ihm suchen. Das unberechenbare Verhalten lässt sich auf seine Vergangenheit in Bulgarien zurückzuführen. Auf Nastasias Anweisungen reagiert Lasse jedoch treu und ergeben.
Letztendlich geht es bei diesem Beruf um die Arbeit mit Lebewesen, die gleichermaßen Charakter und Erfahrungen mitbringen. Da ist eine Menge Geduld gefragt: „Meine Termine dauern immer länger als geplant“, gibt die Hundeexpertin zu. Sie nimmt sich für jeden so viel Zeit wie notwendig. Während des Interviews fallen einige Blicke auf ihr Arbeitshandy, das aufleuchtet. Ob am Wochenende oder abends spät, Hundebesitzer:innen haben ständig Fragen. Doch das nimmt Nastasia von Reservoir Dogs gerne hin dafür, dass sie nun nach eigenen Regeln arbeitet und direkte, ehrliche Wertschätzung für das bekommt, was sie tut.