All der Kirchenkritik zum Trotz: Was motiviert dazu, Religionslehrer:in werden zu wollen?
Verfasst von Nina Schwarzer am
Die Kirche steht in der Kritik. Missbrauchsskandale, ein teils veraltetes, stark konservativgeprägtes Weltbild, die oftmals fehlende Bereitschaft sich mit Missständen auseinandersetzen. Auch, wenn sich viele Negativschlagzeilen auf die katholische Kirche beziehen, so wächst dennoch die Unzufriedenheit mit der gesamten Institution. Dies macht sich auch in Zahlen bemerkbar. Bereits in der ersten Jahreshälfte dieses Jahres traten ca. 9.000 Menschen in Köln aus der Kirche aus. Somit wandten in den ersten sechs Monaten des Jahres mehr Menschen der Kirche den Rücken zu, als im gesamten vergangenen Jahr. Immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab, immer weniger Kinder werden getauft. Trotzdem gibt es noch immer junge Leute, die ihre berufliche Zukunft im Dienst der Kirche suchen. Als Religionslehrer:innen. Doch was motiviert Lehramtsstudierende ein Theologiestudium zu beginnen?
Ein Ziel und unterschiedliche Wege dorthin:
In diesem Artikel kommen 6 Menschen zu Wort, die zurzeit evangelische oder katholische Religionslehre studieren oder ihr Studium vor kurzer Zeit beendet haben. Sie alle verbindet das Ziel, Kindern und Jugendlichen ihre Religion näher bringen zu wollen - auch wenn der Weg zu diesem Ziel, für jeden unterschiedlich aussah. Daria und Samuel von der Fachschaft evangelische Theologie sind beispielsweise beide christlich aufgewachsen und haben sich bereits vor dem Studium aktiv in ihren Gemeinden eingebracht. Samuel motivierte sein „mieser Religionsunterricht“, es eines Tages besser zu machen. Wiederum andere haben keinen nennenswerten religiösen Hintergrund, wie Lotte*, die erst durch den Religionsunterricht in der Schule zum Glauben gefunden hat. Sie ist außerdem davon überzeugt, „dass es heute Kindern ähnlich geht. Daher wollte [sie] ihnen gerne das Angebot machen, über Gott nachzudenken und zu reden.“.
Die Herausforderungen im Studium:
Die Hintergründe der Studierenden mögen unterschiedlich sein, über die Herausforderungen im Studium sind sich die Lehramstantwärter:innen dennoch einig. Eine der größten Herausforderungen im Studium sind die Sprachanforderungen: „Voraussetzung für den Abschluss des Theologiestudiums ist das Latinum und Altgriechisch, welches neben dem eigentlichen Studienverlaufsplan von Theologie noch absolviert werden muss, welches für viele Student:innen eine Herausforderung darstellt.“, berichtet Malin, die katholische Religion studiert. Auch Daria und Samuel bestätigen diesen Bericht, betonen jedoch, dass sich der Aufwand lohnt, „denn diese Sprachen sind feste mit der christlichen Religion verknüpft.“
Die kirchliche Lehrbefugnis:
Neben den sprachlichen Herausforderungen gibt es jedoch noch weitere Hürden, die es zu überwinden gilt. So müssen Lehramtsanwärter:innen eine Lehrerlaubnis beantragen, um überhaupt Religionsunterricht geben zu dürfen. Diese soll sicherstellen, dass Religionslehrende würdige Vertreter:innen ihrer Religion sind. Für evangelische Studierende ist dies die Vokation. Diese wird ausgestellt, wenn Lehramtsanwärter:innen ihre Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche nachweisen können und an einer fünftägigen Vokationstagung teilgenommen haben. Das katholische Pendant hierzu ist die Missio Canonica. Um sie ausgestellt zu bekommen, müssen die zukünftigen Lehrenden aktive Mitglieder in ihren Gemeinden sein. Auch in ihrem Privatleben müssen sie nach den Grundsätzen der katholischen Kirche handeln. Aufgrund des Eingriffs in das Privatleben der Lehrenden und der Möglichkeit, dass die Lehrbefugnis auch wieder entzogen werden kann, steht die Missio Canonica oftmals in Kritik. Dennoch hält Lotte* fest, dass sie die Missio Canonica als sinnvoll und notwendig erachtet. „Ein bestimmtes Bekenntnis kann nur von Menschen unterrichtet werden, die zu dieser Glaubensgemeinschaft gehören. […]“ Allerdings müssten die Missio Kriterien dringend überarbeitet werden, fügt sie hinzu.
Der Beruf des Religionslehrenden:
Es ist also kein einfacher Weg in den Klassenraum für einen Theologiestudierenden. Und in diesem Klassenraum finden Lehrende immer weniger getaufte Kinder vor. Eva*, die an einer Realschule Religion lehrt, berichtet, dass im letzten 5er Jahrgang ihrer Schule nur 22, der rund 150 Schüler:innen am evangelischen Religionsunterricht teilgenommen haben. Und so sehen einige, die ihre Geschichte teilten, die Zukunft ihres Berufs kritisch. Jacky, die bald ihr erstes Mastersemester beginnt, hält fest: „Die Kirche macht gerade nicht gut Werbung für sich. [Ich] kann verstehen, dass Leute die Dinge, die passieren nicht vertretbar finden. An vielen Schulen gibt es die Möglichkeit praktische Philosophie zu wählen. Das wird dazu führen, dass immer weniger Leute nach Religionslehrern fragen.“ Andere, wie beispielsweise Lotte*, sind überzeugt, dass die Menschen sich weiterhin mit Gott auseinandersetzen wollen werden, unabhängig von dem Stand der Kirche innerhalb der Gesellschaft.
Religionsunterricht – mehr als nur Bibellehre:
Während es geteilte Meinungen zur Zukunftsperspektive des Fachs gibt, herrscht Einigkeit bezüglich der Relevanz der im Unterricht behandelten Themen. Denn Religionsunterricht befasst sich nicht nur mit der Kirche, sondern auch mit dem Glauben, der Gesellschaft und dem Alltag. Die Studierenden und Religionslehrer:innen möchten bei der Bewältigung essentieller Lebensfragen den Schüler:innen unterstützend zur Seite stehen. Jacky studiert evangelische Theologie und berichtet von ihrem Nebenjob als Vertretungslehrerin an einem inklusiven Gymnasium, dass diese Fragen, neben individuellen Zukunftsfragen, auch Klimapolitik und aktuelle Themen umfassen.
Ebenso finden vermeintliche Tabuthemen im Religionsunterricht ihren Raum. Jacky, die sich auch selbst vor ihrer Schule geoutet hat, findet es schön, wenn der Religionsunterricht eine Atmosphäre schafft, in der Schüler:innen offen über Sexualität sprechen können. Und auch der Tod hat seinen Raum im Religionsunterricht. Eva* nutzte ihre Ausbildung zur Religionslehrerin, um Schüler:innen nach einem Todesfall an der Schule in ihrer Trauer zu unterstützen. Nun macht sie eine Fortbildung zur Schulseelsorgerin und betont: „Ich bin evangelische Religionslehrerin aber meine Klasse ist offen für alle.“ So bietet der Religionsunterricht Raum für die großen Fragen im Leben der Kinder und Jugendlichen. Einen Raum, den es in dieser Form im Matheunterricht beispielsweise nicht gibt.
Was motiviert Religionslehrer:innen?:
Angehende Religionslehrer:innen stehen vor einer Reihe von Hindernissen. Sie erwartet ein anspruchsvolles Studium und die Vertretung einer Institution, die an Ansehen in der Gesellschaft verliert. Aber sie erwartet auch ein Beruf, in dem sie ihren Glauben mit Kindern und Jugendlichen teilen können. Sie dürfen darüber hinaus die Schüler:innen bei der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Spiritualität unterstützen. Besonders erwartet sie jedoch ein Beruf, in dem sie junge Menschen durch wichtige Lebensabschnitte und bei der Konfrontation von essenziellen Lebensfragen begleiten können. Dies ist ein Motivator, der bei allen hier zu Wort gekommenen genannt wird: der Wunsch eine unterstützende Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche zu sein, all der Kirchenkritik zum Trotz.
*Name geändert
Quellen:
ein-zeugnis-fuer-den-richtigen-lebenswandel.680.de.html
https://www.erzbistum-koeln.de/kultur_und_bildung/schulen/religionsunterricht/KB/mc/
https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/kirchenaustritte-koeln-online-woelki-100.html
https://www.vokation-westfalen.de/antragsverfahren/vorlaeufige-unterrichtserlaubnis/
http://www.ekir.de/pti/arbeitsbereiche/vokationen.php