Gendern international - Sprachen geeint in der Ungerechtigkeit?
Verfasst von Chiara Bachels am
Andere Länder, andere Sitten? Nicht wirklich, zumindest was das sprachliche Gendern anbelangt. Überall auf der Welt werden Freiheits- und Gleichheitsbestrebungen begleitet von der Forderung, Sprache anzupassen. Denn diese beruht nicht selten auf Hierarchisierung und Diskriminierung, nicht alle Geschlechter werden immer mit einbezogen. Was können wir noch von anderen Ländern lernen und was hält Menschen davon ab, sich gerechter auszudrücken?
Ein Problem, viele Lösungen
Sprache kann an vielen Stellen diskriminieren - nicht zuletzt was Gender, also das soziale Geschlecht, angeht. Wo viele Sprachen auf die Vorherrschaft der männlichen Bezeichnung ausgelegt sind, werden weibliche und non-binäre Menschen nicht mitgenannt. Schlussendlich bedeutet nicht mitgenannt auch nicht mitgedacht und schon gar nicht gleich gedacht, wie Studien, beispielsweise von Frontiers, belegen. Dabei gibt es vom Binnen-I bis zum Sonderzeichen genügend Optionen, sich fairer und inklusiver auszudrücken.
„Ich finde es befremdlich, von der eigenen Muttersprache ausgeschlossen zu werden. Aber wenn man drüber nachdenkt, geschieht genau das“, stellt auch Valentina fest. Die Studentin aus Bologna bezieht gendergerechte Sprache deshalb so gut es geht in ihren Alltag ein. Noch immer werden im Italienischen oft männliche Endungen für alle Geschlechter verwendet. Im Plural ersetzt sie die geschlechterspezifische Endung nun mit einem Sternchen, um alle Geschlechter zu berücksichtigen. So wird aus amici, bedeutend entweder eine männliche oder gemischte Gruppe von Freund:innen, amic*.
Im Französischen besteht das gleiche Problem. Einen Lösungsansatz bilden kreative Wortneuschöpfungen: aus Chanteuse und Chanteur (Sängerin und Sänger) werden so Chantereuse oder Chanteuseur. Im Gegensatz zur Verwendung eines Gendersternchens für alle Geschlechter berücksichtigen diese jedoch nur das männliche und weibliche Geschlecht.
Generisches Maskulinum – alternativlos patriarchal?
Ein Grund für Ungerechtigkeit in der Sprache ist hier also das generische Maskulinum, das männliche grammatische Geschlecht, dem wir auch im Deutschen begegnen. Insbesondere beim Scrollen auf diversen Jobbörsen kommt schnell die Frage auf, ob da wirklich nur nach einem Redakteur gesucht wird oder ob auch weibliche bzw. diverse Mitstreiter:innen ihr Glück versuchen dürfen. Das Schlamassel soll (w/m/d) in Klammern neben der Berufsbezeichnung lösen. Warum nicht sofort die Bezeichnung anpassen? Schon in den 1960er Jahren kämpften Feministinnen für die Bezeichnung Kauffrau in der noch immer patriarchal geprägten Sprache, die bis dahin nur den Kaufmann im Alltag kannte. Erst 1990 fand das weibliche Pendant final ins Handelsregister. Ob französische Sänger:innen oder deutsche Kaufleute - Berufsbezeichnungen sind geprägt vom generischen Maskulinum.
Im Englischen findet sich das zwar in Pronomina noch wieder, Berufe lassen sich jedoch deutlich neutraler bezeichnen. Die bekanntesten Beispiele sind policeman und -woman, neutraler police officer. Das weiblich dominierende Wort stewardess wird zu flight attendant. Das kann das Deutsche natürlich auch – eine Putzkraft beispielsweise kommt auch ohne generische Zuweisung aus. Jedoch merkt Dr:in Nadine Bieker vom Institut für deutsche Sprache und Literatur II der Uni Köln an: „Normalerweise ist es im Deutschen so, dass die feminine Bezeichnung aus der maskulinen abgeleitet wird, also Lehrerin aus Lehrer. Das Männliche ist die Grundform, erst durch Movierung wird aus der maskulinen Form eine feminine. Bei den Berufsbezeichnungen, die prototypisch weiblich sind, beispielswiese Krankenschwester, wird nicht das männliche Pendant erschaffen, sondern etwas, das höherwertig klingt, also zum Beispiel Krankenpfleger“. Ebenso ist das Pendant zur Hebamme der Geburtshelfer. Es entsteht also eine Hierarchisierung, wo es doch eigentlich um Gleichberechtigung gehen soll.
Wie lösen die Schwed:innen das Problem? Sie machen aus -mann und -frau einfach -person! Außerdem wurde 2015 zusätzlich das neutrale Pronomen hen eingeführt, das verwendet wird, wenn das Geschlecht egal oder unbekannt ist. Angelehnt ist das an das universale finnische Pronomen hän. Wie Finnisch kommen auch Sprachen wie Englisch, Türkisch, Ungarisch und Estnisch komplett ohne grammatikalische Geschlechter aus, sie sind genuslos. So heißen Anwalt und Anwältin im Türkischen gleichbedeutend avukat. Nur wenige Bezeichnungen unterscheiden die Geschlechter einer Sache. Trotzdem gibt es auch hier noch keine Gleichberechtigung: Mann, türkisch Adam, wird beispielsweise als Beschreibung für Ehrlichkeit und Loyalität auch für Frauen verwendet. Deshalb protestierten junge Menschen im Zuge der Gezi-Proteste in der Türkei 2013, die sich gegen die Politik von Präsident Erdogan richteten, auch für mehr Gleichberechtigung in der Genderdebatte.
Utopie von Gerechtigkeit
Es wird also deutlich: In den meisten Sprachen gibt es Aspekte, die marginalisieren und diskriminierend wirken. Daran ist nicht nur das generische Maskulinum Schuld, denn jede Sprache hat andere grammatikalische Voraussetzungen. Jedoch unterscheidet sich deren Entwicklung: Denn es gibt sie durchaus, die Offenheit und Flexibilität zu Veränderung. Beispielswiese bei den Schwed:innen, die ein grundlegendes Merkmal ihrer Sprache, Pronomina, im Zuge geschlechtlicher Gleichstellung angepasst haben. Oder die Schweiz, die mit den gleichen sprachlichen Voraussetzungen wie die Deutschen zumindest mehr zweigeschlechtlich ansprechen. Das generische Maskulinum ist dort nicht so stark. Trotzdem bleibt meist eine ganze Gruppe im Deutschen außenvor, wenn es darum geht, sich sprachlich zu identifizieren: „Es gibt noch keine etablierte Möglichkeit für Personen, die sich nicht das binäre System einordnen lassen (wollen)“, sagt Dr:in Bieker.
Sie merkt an: wir sind noch mitten in der Debatte. Allein, dass ein Austausch stattfindet, ist gut. „Der Duden hat sich jetzt dafür entschlossen binär aufzutreten und nicht mehr im generischen Maskulinum“. Dabei muss es einen Raum für Diskussion geben, denn noch gibt es keine pauschalen Lösungen, wie eine ideale, gerechte Sprache aussehen könnte. Doch das Bewusstsein für einen sensibleren Sprachgebrauch wächst.
Dabei klingt gerechte, diskriminierungsfreie Sprache, die alle einschließt, nach einem Zustand, der so greifbar wie siriusfern zugleich erscheint. Was jedoch hindert uns genau daran, unsere Sprache zu verändern? Schließlich ist Sprachwandel ein fortwährender Prozess, wir erleben ihn jeden Tag. Vor dem Pandemieausbruch hätte sich sicher niemand im Entferntesten erträumt, dass wir eine ganze Bandbreite von bizarren Anglizismen in unseren täglichen Sprachgebrauch aufnehmen, siehe Lockdown, Superspreader und co. Da scheint es doch gar nicht mehr so unmöglich, zeitnah Strategien für eine inklusive Sprache zu erarbeiten.
Dr:in Nadine Bieker sieht eine Unsicherheit bei den Menschen, die hauptsächlich aus Unwissenheit entsteht. Es sei wichtig in Dialog zu treten, zu verstehen, was diese potenziellen Veränderungen bedeuten könnten. So gehe dem sozialen Mann der Status als Mensch nicht verloren, wenn das generische Maskulinum nicht mehr dominant in der Sprache wäre, sondern nur seine prototypische Stellung in der Gesellschaft. Da das Einordnen von Menschen nach Geschlecht jedoch derart unseren Alltag beeinflusst, fällt es schwer, sich davon zu lösen.
Es bleibt, den Diskurs aufrechtzuerhalten, aufzuklären, wo Fragen aufkommen und Lösungen offen gegenüberzutreten. Valentina zumindest scheint zuversichtlich, was die Zukunft der italienischen Sprache angeht: „Ich will positiv bleiben und glaube, dass wir eine Zukunft in Gleichheit, ohne geschlechtliche Hierarchisierungen, mit viel Arbeit erreichen können“.