Gaming und E-Sports als politische Plattform
Verfasst von Alex B am
Der aus Hong Kong stammende Chung Ng Wai (alias blitzchung)
gewann Anfang Oktober ein professionelles Hearthstone-Turnier und äußerte
anschließend im Livestream seine Unterstützung für die Proteste in seiner
Heimat. Der US-amerikanische Veranstalter des Turniers und Entwickler des
Spiels, Blizzard Entertainment mit Sitz in Kalifornien, entzieht ihm daraufhin
das gesamte Preisgeld und verbietet ihm die Teilnahme an weiteren Turnieren.
„Befreit Hong Kong, die Revolution unserer Zeit“ - Mit diesen Worten, in seiner Muttersprache Mandarin gesprochen, feierte blitzchung seinen Sieg der Hearthstone Grandmasters in einer Live-Übertragung. Dabei handelt es sich um eines der größten E-Sport Events der Hearthstone-Szene, bei welchem um einen Preispool von 500.000 Dollar gespielt wurde. Die Situation in China ist angespannt - seit Monaten protestieren täglich Hunderttausende gegen die Einwirkung der chinesischen Regierung auf Hong Kong. Es geht um Demokratie, Menschenrechte und Polizeigewalt. Die Stimmung im Livestream ist ausgelassen. Später erklärt der Sieger, die Konsequenzen seines Handelns waren blitzchung in diesem Moment durchaus bewusst. Zuschauer*innen nehmen seine Aussage als eine Art Freudenruf auf, schließlich hat der junge Mann das Finale und somit ein großes Preisgeld gewonnen. Berichte sprechen von $10.000. Doch schon kurz nach dem Turnier gibt Veranstalter Blizzard bekannt, blitzchung das Geld nicht auszahlen zu wollen und ihn für ein Jahr von der Teilnahme an weiteren Turnieren auszuschließen. Fans und Zuschauer*innen kritisierten diese Maßnahme als unverhältnismäßig hart.
Finanzieller Einfluss aus China
Diese Strafe rechtfertigt Blizzard mit einem Verweis auf die Wettbewerbsregeln, bei denen „jeder Akt, der in Blizzards Ermessen dem Image des Unternehmens schadet oder einen Teil der Bevölkerung beleidigt“ zu einem sofortigen Ausschluss aus dem Wettbewerb führt. Blizzard selbst betont in einer Pressemitteilung, die konkreten politischen Aussagen von blitzchung seien „kein Faktor in der Entscheidung“ gewesen, und ihre Beziehung zu China habe keinerlei Einfluss auf diese diese gehabt. Die Gaming-Community steht dem kritisch gegenüber. Tencent, eines der weltweit größten Videospielunternehmen aus China, ist seit 2013 mit 13% am Videospielkonzern Activision Blizzard beteiligt. Im öffentlichen Diskurs herrscht eine große Skepsis daran, dass die Strafe von blitzchung nicht aufgrund seiner Kritik an der chinesischen Regierung in dieser Härte verhängt wurde. Dem Unternehmen wird unterstellt, ausschließlich im finanziellen und politischen Interesse Chinas zu handeln.
Kritik aus den USA
Die US-amerikanischen Senatoren Alexandra Ocasio-Cortez und Ron Wyden kritisieren in einem offenen Brief des US-Kongresses, dass Blizzards Entscheidung einen „erschreckenden Effekt auf Gamer*innen haben könnte, die ihre Plattform nutzen wollen um für Freiheit und Menschenrechte einzustehen.“ Auf Twitter formuliert Senator Wyden deutlich: „Blizzard zeigt, dass sie bereit sind sich zu blamieren, um der chinesischen Regierungspartei zu gefallen. Kein amerikanisches Unternehmen sollte Rufe nach Freiheit zensieren, um schnelles Geld zu machen“. Sie fordern von Blizzard, Meinungs- und Gedankenfreiheit zu respektieren. Der Fall blitzchung geht somit deutlich über die Grenzen des Gaming hinaus und hat sich zu einer politischen Debatte über den Einfluss chinesischer Investor*innen auf westliche Unternehmen entwickelt.
Eine Frage des Geldes?
Hinweise darauf, dass Blizzard ein finanzielles Interesse an einer Kooperation mit China hat, gibt es, über das Investment von Tencent hinaus, reichlich. So kommen, laut aktuellen Zahlen, 37% des Umsatzes des Unternehmens aus dem Bereich des Mobile Gamings - unter anderem gehört der Firma das Spiel Candy Crush. Das neue Smartphone-Spiel von Blizzard, Call of Duty Mobile, brach in Europa und Amerika sämtliche Download-Rekorde und wurde innerhalb einer Woche auf 100 Millionen Geräten installiert. Dem Wall Street Journal zufolge versucht Blizzard aktuell, das Spiel auch für den chinesischen Markt freizugeben. Dies würde die jetzt schon beeindruckenden Zahlen vervielfachen. Eine deutlich regierungskritische Aussage nach dem Finale eines großen E-Sports-Turniers könnte diese Freigabe verzögern oder sogar verhindern.
Vorwürfe aus der Videospielbranche
Auch innerhalb der Videospielbranche gab es einige Reaktionen. Fortnite-Entwickler Epic Games erklärte in einem Gespräch mit The Verge, man „unterstützte das Recht Aller, sich zu Politik- und Menschenrechtsthemen zu äußern.“ Man werde „keinen Fortnite-Spieler dafür bestrafen, über diese Themen zu sprechen.“ Damit distanziert sich Epic Games deutlich von der Vorgehensweise Blizzards. Blitzchung selbst sagt in einem Interview mit AFP, er „bereue nicht, das gesagt zu haben.“ Die Entwickler des Videospiels Gods Unchained, welches ein ähnliches Spielprinzip wie Hearthstone hat, werfen Blizzard vor „bewiesen zu haben, dass Videospielunternehmen ihre Spieler*innen für Profit zensieren und ausnutzen“.
Blizzard rudert zurück
Im Anschluss an die große mediale Aufmerksamkeit für das Thema hat Blizzard sich an die Öffentlichkeit gewendet und bekanntgegeben, die Strafe für blitzchung deutlich zu verringern. So soll die Dauer des Verbots der Teilnahme an weiteren Turnieren halbiert worden sein, und somit nur noch sechs Monate betragen. Außerdem soll ihm das Preisgeld erstattet werden. In einem Statement auf Twitter zeigt blitzchung sich dafür dankbar, zweifelt aber an ob er jemals wieder professionell Hearthstone spielen wird. Seine Unterstützung für die Demonstrationen in Hong Kong werde er in Zukunft im privaten Raum äußern. Aus Solidarität haben viele Fans der Spiele von Blizzard (neben Hearthstone gehören dazu auch Overwatch und World of Warcraft) angekündigt, ihre Accounts zu kündigen und das Unternehmen nicht mehr weiter finanziell zu unterstützen. Ob diese Maßnahme einen großen Einfluss auf Blizzard haben wird, ist ungewiss - ob die Spielerzahl sich durch den blitzchung-Skandal stark verringert hat, weiß nur Blizzard selbst. Die Zahlen sind nicht öffentlich. Elena Schulz, die als Videospieljournalistin für GameStar tätig ist, sieht in einem Gespräch mit Kölncampus eine Verantwortung für Gamer*innen. Sie findet es “wichtig, dass man sich mit diesen Themen auseinandersetzt und in solchen Fällen auch überlegt, wie man sich positionieren möchte, weil es ein Signal sendet.” Sie sieht im Boykott Blizzards ein Beispiel dafür, dass “viele Spieler durchaus politisch denken und bereit sind, ihren Konsum einzuschränken, um damit ein Statement zu machen und sich gegen etwas zu stellen, das nicht mit ihren Moralvorstellungen übereinstimmt.”
Was bleibt ist eine große Skepsis seitens der Konsumenten - für viele hat dieser Fall eindeutig bewiesen, dass es keine Selbstverständlichkeit für Unternehmen ist, sich für Meinungsfreiheit einzusetzen und das im Zweifelsfall finanzielle Interessen den Vorrang haben werden. Die Gamer*innen, deren Hobby traditionell unpolitisch ist, haben Blizzard und dem Einfluss Chinas zumindest ein stückweit die Stirn bieten können. Auch in Zukunft wird nicht jede ungerechtfertigte Zensur einen Aufschrei erhalten, wie es hier der Fall war. Aber blitzchung hat Europa und Amerika für ein wichtiges Thema sensibilisiert, so dass in Zukunft ein noch kritischerer und schärferer Blick auf Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit geworfen werden kann - auch im unpolitischen Hobby Gaming.