Storyteller | Misty Head / Sunny Street
Verfasst von Tobias Tarnow amEine Line - Eine Kurzgeschichte. Das ist die Idee hinter dem heutigem Artikel. Dafür benutzt wurden drei Zeilen aus dem Refrain des Kölncampus Lieblingsliedes Misty Head / Sunny Street von Oscar Jerome:
The sun comes up, then we go down
My light comes in, you take it loud
My lust for you is purple clouds
Meine Gedanken werden lauter. Sie überfordern sich selbst. Verzweifelt versuche ich, endlich abzuschweifen. Aber es geht einfach nicht. Der Bass ballert meine Ohren zwar wieder so voll wie damals, doch meine Synapsen dröhnen unverkennbar lauter als alles Andere. Ich will doch einfach nur abschalten und endlich tanzen. Stattdessen dreht sich mein Kopf nach hinten, damit mein trauriger Blick über die wippenden Köpfe der Menge schweifen kann. Aus irgendeinem Grund suche ich sie wieder.
Die viel zu hellen Scheinwerfer beobachten mich. Doch immerhin erkenne ich so die verträumten Gesichter um mich herum. Teller hier, Schweiß da. Ich merke, wie wenig ich zu euch gehöre.
Ich geh eben eine rauchen, ja? Ich rede extra etwas zu leise in die Richtung meines Nachbarn, der sich glücklicherweise in eurer Musik zu finden scheint. Und ich freue mich für uns, denn hätte er mein Verschwinden wahrgenommen, wäre er womöglich noch ungefragt mitgekommen.
Je näher die Tür kommt, desto angenehmer und kälter wird die zu atmende Luft. Nicht nur das motiviert mich in meinem verschwitzten Kampf durch die tanzende Menge. Verkrampft suche ich keinen Augenkontakt, um nicht wieder verloren zu gehen.
Draussen verzieht sich der bedrückende Dunst des Inneren schnell. Die Kippe rauche ich aber erst hinter dem Tor. Zweimal tief durchatmen. Puff. Puff. Rechts die Straße runter sehe ich das U meiner Bahnhalte, doch links leuchtet leise unser Horizont. Die Entscheidung war schon gefallen, bevor ich drüber nachdenken konnte. Mir ist zwar nicht wirklich klar, wie das sein kann, denn mein Kopf hatte mich den ganzen Abend über nur eingeschränkt. Aber jetzt, unter freiem Himmel, da ist alles auf einmal so einfach.
Unterbewusst entscheide ich mich zunächst gegen das Klischee des Rennens. Stattdessen malen meine Schritte ein imaginäres zick-zack Muster auf die breite Straße. Bald fahren hier schon wieder Autos. Aber gerade in diesem Moment, das wissen wir, gerade ist es nur unsere Straße. Eine ausgedachte, aber wahrscheinlich vom Club inspirierte Melodie in meinem Kopf gibt den fast lethargischen Rhythmus meiner Beine vor. Ich denke zu viel, kann dich noch nicht erkennen. Die Nacht nagt wieder an mir, wie jeden Tag.
Jetzt laufe ich. Sehr spontan kam das, ich weiß. Doch ich darf wirklichen keinen Platz mehr für diese bedrückenden Tränen bieten. Selbstmitleid ist meiner Meinung nach das Schlimmste, was den Geist nach so etwas plagen kann. Weg.
Weck mich jetzt endlich, bitte! Ich rufe so laut ich kann in ihre Richtung, also nach oben. Doch im Dunkeln kommt nie etwas zurück. Langsam leuchtet der Himmel aber nicht mehr dunkelgrau. Er fast schon bläulich. Bedeckt wird er von riesigen, butterweichen Wolken, die gefühlt langsamer schweben als ich renne. Flüsternd lockt mich der Horizont am Ende der Straße. Je näher ich komme, desto lauter scheint ihre Wärme.
Ich lache. Ja, ich lächle sogar. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal gelächelt hab. Meine Schritte werden schneller und schneller. Das Hupen der Autos, die nun vereinzelt meine Straße übernehmen wollen, nehme ich kaum wahr. Wir laufen uns entgegen. Eine Szene, wie im Film.
Rückblickend könnte das alles etwas hektisch wirken. Tatsächlich war aber das Gegenteil der Fall. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange wir wirklich gelaufen sind, aber bestimmt nicht länger als zwei drei Minuten. Doch in dieser Zeit hat sich so unglaublich viel in meinem Kopf bewegt. Ganz langsam hast du mein Dröhnen in Hoffnung verwandelt. Unglaublich, dass wir uns da gesehen haben, oder? Unglaublich. Fast, wie im Traum.
Mein Blick, meine Gedanken, meine Beine, alle haben sie nur noch Augen für dich. Und deine wärmenden Strahlen scheinen nur noch auf mich. Unsere Lust aufeinander bleibt nie stehen, so scheint es. Ganz wie die Wolken über uns. Mittlerweile haben die sogar einen lilafarbenen Schimmer angenommen haben. Ein wunderschöner Anblick, wirklich. Deine wegweisende Sonne wird immer heller und wärmer und heller und größer.
Leise nehme ich das Hupen eines Autos wahr, ich muss mich mitten auf einer großen Kreuzung befinden. Das Hupen wird lauter, doch ich gucke gar nicht erst hin. Ich atme noch ein letztes Mal durch und lache. Alles in mir ist weiterhin nur auf dich gerichtet, fest davon überzeugt, dich endlich wieder zu sehen. Zusammen liegen wir jetzt lauter als alles Andere hinter dem Sonnenaufgang, auf allen lila Wolken dieser Welt. Fast wie damals, in unserem gemeinsamen Traum.