Frühstückslektüre I Generationenunterschiede - Ein Mythos?
Verfasst von Tamara Plempe am
Baby
Boomer, 68er, Generation X, Millenials - alle paar Jahre tauchen neue
Begriffe auf, mit denen die nächste Generation gekennzeichnet und
von den vorherigen abgegrenzt wird. Jede dieser Gruppen hat ihre
verschiedenen Werte und Einstellungen zu Leben, Liebe, Arbeit und
Freizeit - oder? Der Marburger Soziologe Professor Dr. Martin
Schröder will in seiner aktuellen Studie zeigen, dass es in
Wirklichkeit keine großen Unterschiede zwischen den Generationen
gibt.
Früher war alles schlechter!
Jede Generation will am liebsten alles anders machen als die vorhergehende, Kinder rebellieren gegen die überholten Werte ihrer Eltern und wollen eine andere Welt erschaffen. Die 68er protestierten gegen "spießbürgerliche" Ehe- und Familienvorstellungen und engagierten sich politisch, die darauf folgenden Baby Boomer waren eher desillusioniert, indifferent und auf wirtschaftlichen Erfolg und die Sorge um ihr eigenes Hab und Gut fokussiert. Die Generation X verweigerte sich wiederum dem Konsum und der Anhäufung von Statussymbolen und hörte in Holzfällerhemd und zerrissenen Hosen Nirvana - so oder so ähnlich stellt man sich die Generationenkonflikte vor.
Prof. Dr. Martin Schröder ist jedoch überzeugt, dass es sich dabei um einen Mythos handelt und sich die Alterskohorten eigentlich kaum in ihren Lebens- und Wertvorstellungen voneinander unterscheiden. Er hat Umfragedaten aus einer Langzeituntersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ausgewertet, bei der über 80.000 Menschen aus den Geburtengängen 1892 bis 1998 zu ihren Ansichten befragt wurden: Beispielsweise, wie wichtig ihnen Selbstverwirklichung, Ehe, Familie oder gesellschaftliches Engagement ist, wie zuversichtlich sie in Zukunft blicken, ob sie sich um ihren Arbeitsplatz sorgen und beruflich erfolgreich sein möchten. Wenn sich Generationen wirklich klar voneinander abgrenzen lassen, müssten die jeweiligen Geburtenjahrgänge im Jugendalter bezüglich dieser Themen deutlich unterschiedliche Einstellungen haben. Die Ergebnisse hat er in der aktuellen Ausgabe der "Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie" veröffentlicht.
Gibt es den Generationenkonflikt?
Tatsächlich ähneln sich die Antworten über alle Altergruppen hinweg sehr. Selbstverwirklichung etwa hat für jede Generation einen hohen Wert. Den ab 1972 Geborenen wurde zwar beruflicher Erfolg leicht wichtiger, dennoch schwankt die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und das wirtschaftliche Wohl kaum zwischen den verschiedenen Jahrgängen. Politisches Interesse ist ebenfalls gleichbleibend hoch; hier schneidet auch die Generation Y der in den Jahren 1985-2000 Geborenen gut ab, denen oft Egoismus und mangelndes Engagement zugeschrieben wird. Eine stabile Ehe und Familie werden durch alle Generationen hinweg ebenfalls recht hoch geschätzt, und es blickt auch keine Gruppe signifikant hoffnungsloser oder optimistischer in die Zukunft als die anderen.
Unterschiedliche
Einstellungen zum Leben
Schröder
kritisiert den Generationbegriff als umgangssprachlich und ungenau,
da oft einer Generation vollkommen gegensätzliche Eigenschaften
unterstellt werden. Ein gutes Beispiel ist die Generation Y, die in
einer durch die Globalisierung und das Internet neu geordneten Welt
aufgewachsen ist. Daher sind ihre Mitglieder manchen Forschern
zufolge egozentrisch, wenig politisch interessiert und kümmern sich
nur um sich selbst. Freiheit und Individualismus seien die
vorherrschenden Werte. Von anderen Seiten wird ihnen gleichzeitig
eine hohe Gemeinschaftsorientierung zugeschrieben. Die Liste von
widersprüchlichen Kennzeichen lässt sich fortsetzen: Manche sehen
in der Generation Y geldgeile Karrieremenschen, die über soziale
Medien Prestige anhäufen wollen, andere sagen, diese Gruppe sucht in
ihrer Arbeit eher ein gutes Betriebsklima, Sinnfindung und
Selbstverwirklichung statt wirtschaftlichem Erfolg.
Außerdem sind Schröder zufolge viele der bisherigen Studien zu diesem Thema auch deswegen mangelhaft, weil sie nur eine bestimmte Generation in den Blick nehmen und nicht die gesamte Gesellschaft. Sie vergleichen Einstellungen also nicht generationenübergreifend; um einen Geburtengang von einem anderen abgrenzen zu können, müsse man die zugehörigen Personen aber mit älteren oder jüngeren Mitgliedern anderer Generationen vergleichen. Das hat es bisher noch nicht gegeben.
Die
meisten Werte, die die Populärwissenschaft den einzelnen
Generationen jeweils als Markenzeichen zuschreibt, hält Schröder
ohnehin für ein ungeeignetes Werkzeug zur Unterscheidung: Welche
Generation wünscht sich schließlich nicht Sicherheit,
Zugehörigkeit, individuelle Entfaltung, emotionale Bindung und einen
Platz in der Gesellschaft?
Dazu kommt, dass jüngere und ältere
Menschen zwar oft sehr verschieden denken, das hänge jedoch nicht
mit den Generationen zusammen, sondern einfach mit dem Lebensalter:
Je älter man wird, desto mehr verändern sich gewisse Einstellungen.
Alle verändern sich gemeinsam
Schröder erklärt auch, dass Generationenbegriffe entstehen, weil viele Forscher davon ausgehen, dass Menschen, die in einem bestimmten Jahrgang geboren wurden, von den gesellschaftlichen Ereignissen in ihrer Jugend zusammengeschweißt werden. Die Generation Y sei zum Beispiel u. A. geprägt von 9/11, Laptops, Handys, dem Internet und Facebook, die Generation X dagegen durch den Mauerfall, Tschernobyl, den Zerfall der Sowjetunion und AIDS. Allerdings glaubt Schröder nicht, dass der Rest der Gesellschaft durch diese Ereignisse überhaupt nicht beeinflusst wird; sie haben nicht nur Auswirkungen auf die Jugend, sondern erfassen und verändern die Denkweise aller Generationen.
Generationenetikette haben dieser Studie zufolge also wenig mit den realen Wertvorstellungen der Menschen zu tun und sind eher ein Mythos, der von Trendforschern und Populärwissenschaftlern immer wieder gehyped wird, wenn sie in den Medien eine neue Generation ausrufen. In Wirklichkeit sind wir uns alle - zumindest in unseren Grundeinstellungen zum Leben - eigentlich ziemlich ähnlich.