Frühstückslektüre I Was ein künstlicher Mond mit dem Biorhythmus anstellt
Verfasst von Katharina Saga am
Es klingt wie eine größenwahnsinnige Vision von Elon Musk, ist aber der volle Ernst eines chinesischen Luftfahrtunternehmens: Statt Straßenlaternen soll im südwestchinesischen Chengdu demnächst ein künstlicher Mond für die nächtliche Beleuchtung sorgen. Genauer genommen handelt es sich dabei um einen Satelliten, welcher aus dem All Licht auf die Erde reflektiert. Ziel dieser Mondnachahmung sei vor allem eine massive Einsparung von Stromkosten und Energie. So weit, so umweltfreundlich. Doch was macht es mit Lebewesen, Menschen inklusive, wenn es rund um die Uhr hell ist?
Denken wir (wie so häufig) als erstes an uns selbst: Dass den Menschen ihr Biorhythmus heilig ist, zeigen die mitunter haarsträubenden Debatten um den Wechsel von Sommer- und Winterzeit. Darüber hinaus vermuten viele als Ursache hinter ihren Schlafstörungen den Vollmond. Was die geplante nächtliche Erleuchtung der Metropole Chengdu anbetrifft, so scheint also die ein oder andere schlaflose Nacht vorprogrammiert - nicht zuletzt dann, wenn Vollmond und Fake-Mond gleichzeitig am Himmel um die Wette scheinen. Immerhin wäre der Satellit laut der chinesischen Wissenschaftsgesellschaft „Tian Fu New Area Science Society“ acht Mal heller als der natürliche Himmelskörper. Für die ohnehin schon geplagten Schlechtschläfer ein Alptraum – und für die Anderen? Im Sommer freut sich schließlich fast jeder auf die Nächte, in denen es erst spät dunkel wird und man noch lange gesellig draußen zusammensitzt. Ewige Sommerabende auf der Uniwiese. Im Winter nie wieder morgens im Dunkeln das Haus verlassen und trotzdem erst im Dunkeln heimkehren. Klingt ja auch nicht übel.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Entscheidend ist, wie hell es durch den Satelliten tatsächlich werden kann. Denn obwohl der künstliche Mond kräftiger leuchtet als das Original, kommt er noch lange nicht an das Licht einer Straßenlaterne heran. Auch sei die Leuchtkraft durchaus regulierbar, und selbst die Dämmerung könne simuliert werden, versichern die chinesischen Wissenschaftler. Für nachtaktive Tiere würde sich demnach gar nichts ändern, und auch die Bewohner*innen Chengdus könnten ihren Rhythmus behalten.
Stichwort Tiere: Schließlich ist der Mensch nicht das einzige Lebewesen auf dem Planeten, das auf gewisse Lichtwechsel in irgendeiner Form angewiesen ist. Für Reinhard Klenke, Populationsökologe, sind die konkreten Auswirkungen einer solchen zusätzlichen Lichtquelle vor allem langfristig noch nicht genau abzusehen – weder positive noch negative. Denkbar seien aber bestimmte evolutiven Prozesse: Während zum Beispiel manche Tiere zusätzlich nachts auf Beutefang gehen könnten, wären andere Arten genau dadurch plötzlich bedroht. Würden zusätzlich die Straßenlaternen ganz wegfallen, sei zumindest theoretisch ein Schritt gegen das enorme Insektensterben getan, da diese fatalerweise in künstliche Lichtquellen fliegen und somit auch als Nahrung für viele andere Arten fehlen.
Laut Klenke hängt es also ganz von der Art des Tieres ab, ob es von der nächtlichen Helligkeit profitiert oder nicht. Pflanzen hingegen könnten grundsätzlich durch den gegebenenfalls abgeschwächten Lichtwechsel von Tag zu Nacht bei der Photosynthese beeinträchtigt werden. Ob gut oder schlecht, Veränderungen wird es für alle geben, da ist sich Klenke sicher.
Die Aussage der chinesischen Forscher, dass für das Ökosystem prinzipiell alles beim Alten bleibt, lohnt es sich also zu hinterfragen. Doch auch eine totale Apokalypse aller Biorhythmen muss angesichts der doch eher geringen Helligkeit des künstlichen Mondes noch niemand befürchten. Vielmehr bleiben nicht nur für die potenziell Schlafgestörten und Nachtaktiven Fragen offen. Wenn der Satellit deutlich weniger hell als Laternen leuchtet, wie soll er diese dann ersetzen? Wie viel Geld kann Chengdu durch den neuen Mond tatsächlich sparen? Immerhin ist der Bau eines Satelliten inklusive mehrerer Testmodelle nicht gerade billig – zumal ein Erfolg nicht garantiert werden kann und bisherige Vorhaben dieser Art scheiterten. 2020 soll ein erster Testsatellit in die Erdumlaufbahn geschossen werden. Bis dahin bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich weiter über den Vollmond, die Sommer-und Winterzeit und die dunklen Winterabende zu beschweren.