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Frühstückslektüre | Wie eine Chipkarte verrät, wer sein Studium abbrechen wird

Verfasst von Stephan Senger am

Laut einem kürzlich erschienenen Bericht in der FAZ bricht jeder Dritte Student in Deutschland sein Studium ab. In den USA gibt es Bestrebungen, die Abbrecherquote der Studenten zu minimieren. Wie das geht? Über die Auswertung von Bewegungsprofilen und sozialen Netzwerken mit Hilfe des Studentenausweises. Könnte uns das auch in Deutschland drohen?

Der Studentenausweis ist vielerorts ein wahrer Alleskönner – er ist Fahrkarte im öffentlichen Nahverkehr, er ist Bibliotheksausweis und mit ihm kann man Kaffee und Essen in allen Kölner Mensen bezahlen. Auch an der Universität in Arizona sind Studenten ohne ihre sogenannte „Cat Card“ aufgeschmissen. Hier können sie ohne den Ausweis noch nicht mal ein Universitätsgebäude auf dem Campus betreten. Klar, der Studentenausweis ist praktisch und vereint vieles in einer Karte. Aber gleichzeitig hinterlassen Studenten mehrmals am Tag zig Informationen, während sie ihn gebrauchen. Datenschutzrechtlich ist das höchst interessant. Man könnte beispielsweise auswerten, welcher Student zu welchen Uhrzeiten wie oft einen Kopierer nutzt.

Solche und andere Informationen wertet die Professorin Sudha Ram aus. Sie lehrt Datenverarbeitung an der Uni Arizona und erstellt mit Hilfe des Studentenausweises Bewegungsprofile und soziale Netzwerke von Erstsemestern. „Wir können nach 12 Wochen mit knapp 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, wer sein Studium abbrechen wird“, sagt Ram. Bewegungsmuster von Studierenden führen zum Café oder Kiosk um die Ecke, andere wiederum betreten morgens die Bibliothek und verlassen sie abends wieder. Wenn zwei Studierende immer hintereinander den Kaffee bezahlen, sind sie entweder eng befreundet oder haben eine Beziehung. So sieht Ram, welche Erstis in den ersten Wochen viel Zeit miteinander verbringen und wertet diese Informationen im Zeitverlauf aus.

Sudha Rams Arbeit ist nur möglich, wenn sie an viele Informationen kommt. In ihrem Fall sind es Aufenthaltsorte der Studierenden, also Orts- und Zeitstempel. Sie sagt, entscheidend dafür, ob ein Student sein Studium abbricht, sind nicht die Noten oder wie schlecht seine WG an das öffentliche Nahverkehrssystem angebunden ist. Am wahrscheinlichsten brechen Studenten das Studium ab, wenn sie keine „Campus-Routinen“ entwickeln oder keine stabilen Freundeskreise aufbauen. Dafür animiert Ram die Orts- und Zeitstempel auf virtuelle Karten in farbigen Linien.

Noch wird die Forschung nicht genutzt. Allerdings hat die Uni bereits eine Liste potentiell gefährdeter Abbrecher ermittelt. Laut dieser Liste sind das rund 20 Prozent der Studierenden an der Uni Arizona. Haben die Studenten in Arizona mit dem Wissen also überhaupt noch so etwas wie eine Privatsphäre? Wenn jeder Kaffee und jede Kopie überwacht wird, ist dann nicht die Freiheit an der Universität bereits verlorenen gegangen? Ist sowas auch in Deutschland denkbar?

Denn auch in Köln zahlen Tausende Studenten täglich das Mensa-Essen mit dem Studentenausweis, leihen Bücher aus oder kopieren Artikel. Aber hier weiß die Uni nicht, wer gerade den MSC Knusperfisch mit Pommes bestellt hat oder geschweige denn, wer heute überhaupt an der Uni war. Denn die Identität des Studierenden wird beim Bezahlen oder Kopieren nicht erfasst, lediglich das Geld wird abgebucht. Die EU schützt die Identität von Studierenden durch strenge Gesetze. Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung soll sie davor behüten, dass Universitäten oder Unternehmen wahllos viele Informationen über sie speichern.

Die EU-Kommission will in den nächsten 5 Jahren die Universitäten aller Mitgliedstaaten auf elektronische Ausweise umstellen. Allerdings sollen die Karten technisch anders umgesetzt werden als in Arizona. Das Studierendenwerk soll nur das Guthaben auf den Ausweisen sehen, die Unis nur die Bibliotheksnummer. Beide Informationen liegen auf der Karte, welche aber getrennt voneinander verschlüsselt werden. Das Konzept dahinter nennt sich Datensparsamkeit. Keiner kann Informationen sehen oder speichern, welche für seine Aufgaben nicht notwendig sind. Die Datensparsamkeit ist ein wichtiger Teil der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Mit dem europäischen Gesetz sollen Menschen in ihrer Identität besser geschützt werden und die Nutzer europäischer Studentenausweise behalten die Kontrolle, welche Informationen sie wem geben.

In Arizona hat Professorin Sudha Ram unterdessen ein Patent auf ihren Algorithmus angemeldet. Sie sieht in ihren Analysen keine Verletzung der Privatsphäre von Studierenden, sondern eine Chance auf eine bessere, individuelle Förderung. Wie genau die Förderung aussehen soll und wie Universitätsmitarbeiter künftig dabei helfen sollen, stabile Freundschaften unter Studierenden aufzubauen verschweigt sie. Das sei nicht ihre Aufgabe, sagt Ram. „Ich bin Professorin. Ich betreibe die Forschung.“

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