Frühstückslektüre | Der Vinyl-Hype von heute
Verfasst von Julian Hess am
Die Verkaufszahlen von analogen Schallplatten aus Vinyl erreichen seit einigen Jahren ungeahnte Höhen und das obwohl gleichzeitig die unkomplizierte und kostengünstige Verfügbarkeit von digitaler Musik mittels Streaming-Portalen wie Spotify oder deezer zunimmt. Wir werfen einen Blick hinter dieses Phänomen.
In den letzten vier Jahren hat sich das Umsatzvolumen mit Vinyl-LPs in Deutschland auf 74 Millionen Euro beinahe verdoppelt (Stand 2017). Man kann also durchaus von einem Hype sprechen. Doch was finden die immer häufiger vorkommenden Vinyl-Fanatiker an dem alten analogen Medium? Es ist doch viel praktischer und es kostet viel weniger Geld, sich ein Monats-Abo bei einem der großen Streamingdienste zuzulegen und immer und überall Zugriff auf eine Musik-Bibliothek zu haben, die so groß ist, dass man sie im Leben kaum durchhören könnte. Hier gibt es verschiedene Argumente, die die Vinyl-Fanatiker anführen und über den Faktor des nostalgischen Erlebnisses hinausgehen. Denn auch viele jüngere Menschen, die überhaupt nicht im Zeitalter vor der Einführung der digitalen CD aufgewachsen sind und es nicht von früher kennen, sondern von heute, finden etwas an dem Medium Vinyl.
Erlebnis: Für viele Vinyl Fans ist es etwas Besonderes, sich eine Vinyl LP zu kaufen und sie auf dem eigenen Plattenspieler anzuhören. Hier wird das Hören zur Hauptbeschäftigung, während man beim Anhören von MP3 Dateien oder Streamingdiensten eher dazu geneigt ist, gleichzeitig noch etwas anderes zu tun und die Musik damit eher zur Hintergrundmusik wird. Auch die Tatsache, dass man etwas Physisches in der Hand hält und sich mit dem Artwork des Covers oder den Songtexten beschäftigen kann, macht das Abspielen einer Vinyl-LP zu einem Gesamterlebnis, das rein digital abgespielte Musik einfach nicht bieten kann. Man nimmt sich einfach Zeit für das Musikhören, die auch gleichzeitig eine Auszeit sein kann, in einer Welt die immer mehr von Hektik und dauerhafter Erreichbarkeit geprägt ist.
Klang: „Guter Klang“ kann unterschiedlich verstanden werden. Viele Vinyl Fans argumentieren mit einem besseren Klang der Vinyl LPs im Vergleich zu den digitalen Alternativen CD, MP3 oder Streamingdienste. Vinyl hat einen Ruf als „verlustfreies Medium“, das heißt dass einige Frequenzen, die beispielsweise bei einer CD abgeschnitten werden, um Speicherplatz zu sparen auf der Vinyl LP noch zu hören sind. Auch geben viele Vinyl Fans an, dass der Klang von der Schallplatte „wärmer“ sein soll, als von digitalen Abspielmedien. Die Tatsache, dass die Schallplatte heutzutage von den gängigen digitalen Speicher- und Abspielformaten in nahezu allen Messgrößen der Kategorie „hohe Klangtreue“ überholt wurde oder mindestens gleichwertig ist, findet in der Szene jedoch kaum Beachtung. Ausschlaggebend für die gute Bewertung des Klangs ist also eher ein subjektives Empfinden der Hörer. So kommt der „warme“ Klang der Schallplatten durch einen reduzierten Höhenpegel und leichte Verzerrungen im Bassbereich zustande. Und da die digitalen Speichermedien diese Verzerrungen nicht haben, wird oftmals mit ihnen ein „steriler“ Klang assoziiert, was sie für den gemeinen Vinyl Liebhaber unattraktiver macht.
Sammlung: Wer sich eine Vinyl-Sammlung zulegt, gibt dabei in der Regel nicht nur eine große Menge Geld aus, sondern wertet seine Wohnung auch noch ästhetisch auf. Eine Schallplatte besitzt einfach einen höheren ästhetischen Wert, als eine CD. Dazu kommt, dass man sich als Sammler selbst in den gekauften Platten wiedererkennt und die Sammlung damit eine starke persönliche Note aufweist, was eine Festplatte voll mit Gigabytes von Musikdateien oder die Oberfläche eines Streamingdienstes nicht bieten können.
Insgesamt gibt es also eine Fülle von eher persönlichen und individuellen Argumenten, die so viele Menschen dazu treibt, wieder Vinyl LPs zu kaufen. Musik ist nun einmal ein stark emotionales Thema, welches nicht nur von den Größen „Kosten“ und „einfache Verfügbarkeit“ getrieben wird.