Glühbirne | Vergiss die Pillen – geh in den Wald
Verfasst von Julia Schorn am
Dass der Wald durch wirtschaftliche Interessen, vor allem durch den exzessiven Papierverbrauch akut bedroht ist, wissen wir nun seit langem. Dass Bäume mit uns kommunizieren und dadurch z.B. Krankheiten heilen und sogar Krebs vorbeugen können, wissen dagegen die wenigsten.
Wald-(Sehn-)Sucht
Schon als frisch geborenes Baby hat mein Papa mich auf seinen Rücken geschnallt und mit meiner Mama und mir lange Spaziergänge in die Wälder um unser kleines Dorf in der Eifel unternommen. Er wusste, dass es in den ersten sechs Wochen des Lebens sehr wichtig ist, die Sinne mit Düften, Orten und den Eindrücken der Umwelt zu erweitern. Jahre später sitze ich hier, am Schreibtisch meiner kleinen Stadtwohnung, Altbau mitten in Ehrenfeld, ein Traum für viele, und fühle mich eingesperrt. Ich habe einen regelrechten Drang, nach draußen zu gehen. Ein Spaziergang durch den Grüngürtel verspricht Erleichterung - aber der gewünschte Effekt des Abstands, der Entspannung, des Loslassens, will sich einfach nicht einstellen. Einen richtigen Waldspaziergang kann es einfach nicht ersetzen.
Manche meiner Bekannten und Freunde können dieses Verlangen nach Natur-Erleben nicht verstehen. Für sie ist ein Abend am Aachener Weiher vollkommen ausreichend - Zelten? Niemals. Spaziergang oder Wanderung? Sowas machen doch nur Rentner. Trotzdem sehe ich bei meinen Wald-Spaziergängen immer wieder kölsche und andere städtische Kennzeichen auf den Parkplätzen. Viele nehmen stundenlange Fahrten auf sich, um so weit wie möglich in Nationalparks und naturbelassene Wälder hineinzufahren und Ruhe zu finden. Manche brauchen sogar Naturgeräusche wie Vogelgezwitscher oder das Rauschen eines Baches am Bett, um einschlafen zu können. Aber woher kommt diese Sehnsucht nach Natur? Und was ist es, was nur ein Wald uns geben kann?
Biophilie - wir lieben das Leben
Man könnte sagen, dass es eigentlich ganz einfach ist: im Wald sind wir ganz mit uns allein, wir können wir selbst sein, ohne Sozialdruck, ohne das Gefühl, bewertet zu werden. In dieser Idylle ist die Welt verlangsamt, die Schnelligkeit und Rastlosigkeit verschwindet und ganz von allein fällt der Stress von uns ab. Aber diese Gefühlsveränderungen kommen nicht nur durch die veränderten Umweltgegebenheiten. Auch, wenn es verrückt klingen mag: der Wald kommuniziert indirekt mit unserem Körper. Nicht, dass Bäume irgendwie sprechen könnten und eine Art “Blattsprache” hätten, so wie wir es verstehen würden. Kommunikation kann viel mehr sein als Sprache. Pflanzen haben eine andere Art, sich untereinander, aber auch mit uns, auszutauschen. Das geschieht über kleinste Moleküle, die durch die Luft oder die Erde transportiert werden. Die Pflanzen nutzten bis zu 40.000 chemische Molekülgruppen, um sich z.B. über Gefahren und sogar die Art des Angreifers zu informieren.
Diese chemischen Substanzen finden über Lunge und Haut den Weg in unseren Körper. Wenn ein Wissenschaftler unser Blut vor und nach einem Waldaufenthalt misst, kann er erstaunliches feststellen: zum einen sind da die Terpene, wie Isopren oder Beta-Pinen, deren Anzahl sich nach nur einem Tag um 40% erhöht. Zum anderen werden wichtige körpereigene Proteine vermehrt produziert. Nicht ohne Grund wird diesen Stoffen eine anti-karzinogene Wirkung nachgesagt: all diese Substanzen helfen unserem Körper dabei, unsere körpereigenen Killerzellen nicht nur zu aktivieren, sondern auch deren Produktion anzukurbeln und sie insgesamt aktiver zu machen. Das wirkt sich nicht nur auf die Stressreduktion aus (der Cortisolspiegel sinkt nachweislich), sondern kann der Entstehung von Krebs vorbeugen und zellveränderte Zellen sogar angreifen.
Wenn wir nun in den Wald gehen und uns nach dem Aufenthalt dort so beschwingt und befreit fühlen, ist das nicht einfach nur die Distanz zur Zivilisation, die uns Aufatmen lässt. Der Effekt, den wir im Wald erleben, wird “Biophilie” genannt. Er wurde von Erich Fromm ins Leben gerufen und heißt so viel wie “Liebe zum Lebendigen”. 2015 veröffentlichte Clemens G. Arvay ein Buch dazu mit dem Titel “Der Biophilia-Effekt”, in dem er unter anderem wissenschaftliche Studien aus Japan vorstellt, die belegen, dass Bäume und Pflanzen mit uns bzw. unserem Immunsystem kommunizieren können. Andere Studien zeigen außerdem, dass Menschen, die in bewaldeten Gebieten leben, ein geringeres Krebs-Risiko haben. Durch die Aufnahme der Kommunikationsstoffe fühlen wir uns unbewusst unserer eigenen Natürlichkeit und der Natur nahe. Im übertragenen Sinne könnte man sagen, dass unsere Wurzeln vom städtischen Betongrund wieder zur Erde finden und wir durch die Kommunikation mit unserem Ursprung aufblühen.
Quelle des Lebens gefährdet
Und das alles geschieht, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, auch wenn wir eine Veränderung spüren. Mein Zufluchtsort in meinen zahlreichen Schweden-Besuchen (meine Eltern hatten dort einige Zeit ein Ferienhäuschen direkt am Wald) war eine kleine Waldlichtung. Ich habe mir mein Buch geschnappt und nach wenigen Minuten stand ich auf einer verwunschenen kleinen Lichtung: ein Moosteppich so weit das Auge reichte versprach hinter jedem Hügel einen versteckten Troll. Ich musste nur lange genug warten, um einen zu sehen, dachte ich - dieser Traum ist leider nicht wahr geworden. Dafür habe ich auch damals schon den Effekt gespürt: nirgends konnte ich mir die Helden und Orte in meinen Büchern so lebendig vorstellen, wie dort. Meine Fantasie war so beflügelt, mein Kopf so frei.
Wie traurig war ich, als ich vor zwei Jahren zu diesem Haus reiste und sehen musste, dass der Wald hinter unserem einstigen Feriendomizil kilometerweit abgeholzt war. Ein Schlachtfeld aus toten Bäumen und Sträuchern verriet nichts mehr von dem traumhaften Ort meiner Kindheit. Die hohe Nachfrage nach dem Rohstoff Holz und die daraus resultierenden Rodungen gefährden die lebenswichtigen Wälder immens. Im Bürokratie-Dschungel Deutschland ist der Papierverbrauch besonders hoch: wir verbrauchen jährlich so viel Papier wie die Kontinente Afrika und Südamerika zusammen. Dabei sammeln wir so viel Altpapier, dass ein Umstieg auf Recycling-Papier durchaus möglich wäre. Es gibt dafür sogar einen Städtewettbewerb, in dem Städte ihren Papierverbrauch möglichst auf recyceltes Papier beschränken.
Nehmt euch die Zeit für einen Waldbesuch
Der Wald, als Lebensraum für Tier- und Pflanzenwelt, dient neben dem Klimaschutz auch dem Menschen und sollte daher verstärkt geschützt werden. In Japan kommt der Wald als “Kurort” schon viele Jahre zu Einsatz: beim sogenannten Waldbaden (Shinrin-yoku) tanken gestresste Japaner Energie für den Alltag. Auch wissenschaftlich sind uns Japaner wie Qing Li bezüglich der “Waldmedizin” weit voraus und sollten uns als Vorbild dienen. Der Effekt eines ein- bis dreitägigen Waldaufenthalts hält sogar eine ganze Woche an und lässt uns dem Berufsalltag gestärkt entgegentreten. Dafür brauchen wir keine Pillen. Alles, was wir tun müssen, ist dort sein und tief einzuatmen.