UniVersal | Let´s get digital - Online-Kurse im Test
Verfasst von Julia Schorn am
Unternehmen und Lern-Plattformen werben immer häufiger mit Online-Kursen, die uns kostenlos und quasi über Nacht zum Experten machen: ob Fotograf, PR-Fachmann oder Geschäftsführer. Wenn das so einfach ist, warum dann noch zur Schule oder Uni gehen, hat sich unsere Autorin gefragt und sich solche Kurse mal genauer angeschaut.
Bildung für die breite Masse
In den 70er Jahren hat die Fernschule für viele Menschen ihr Studium erleichtert oder überhaupt erst möglich gemacht: ab 1977 konnte man seine Unterlagen per Post erhalten und sich so weite Fahrten zur Hochschule ersparen. Später wurde das Textmaterial durch Telefonate und Fernsehen ergänzt. Mit Beginn des Internets wurde alles noch einfacher und man konnte sich Videos von Vorlesungen anschauen, die im Anschluss an die Hochschulveranstaltung online zur Verfügung gestellt wurden. Mittlerweile stellen sogar Elite-Universitäten wie Harvard ihre Kurse zur freien Verfügung ins Netz. Die Websites werben mit Sprüchen wie: “Free Online Courses. Advance Your Career. Improve Your Life.” (edX) - die Kurse sind angeblich also kostenlos, bringen die Karriere in Schwung und verbessern unser Leben. Aber können sie auch halten, was sie versprechen?
Plattformen ausgecheckt
Es gibt kaum deutschsprachige E-Learning-Plattformen und das Angebot an Kursen bietet bislang keine große Bandbreite. Auf iversity zum Beispiel hat man die Wahl zwischen kostenlosen oder PRO-Kursen, die dann schonmal 399€ kosten können. Wie bei vielem sind die USA auch bei Online-Kursen Vorreiter. Auf den englischsprachigen Plattformen gibt es Kurse aus den unterschiedlichsten Fachbereichen. Coursera, eine der bekanntesten E-Learning-Plattformen, bietet u.a. Kurse von den Universitäten Yale, Harvard und Princeton an. Hier kann man beispielsweise Programmiersprachen lernen oder sogar einen Online-Master machen. Das ist natürlich nicht kostenlos. So kostet ein akademischer Englisch-Kurs nach einer 7-tägigen Testphase beispielsweise 39€ im Monat. Insgesamt haben die Plattformen, die kein rein kostenloses Kursangebot haben, auch die qualitativ hochwertigeren Online-Seminare vorzuweisen.
Google Zukunftswerkstatt
Aber wie genau laufen solche Kurse eigentlich ab? “Bringen Sie Ihre Karriere oder Ihr Unternehmen voran”, heißt es auf der Website der Google Zukunftswerkstatt, die es seit Juli 2017 gibt. Hier kann man angeblich im Handumdrehen Online-Marketing erlernen, um sich oder seine Firma in der digitalen Welt von der besten Seite präsentieren zu können. Das möchte ich ausprobieren. Die Anmeldung ist leicht: mit Email-Adresse oder Google-Konto eingeloggt kann man direkt loslegen. Die Startseite ist minimalistisch und übersichtlich strukturiert, man kann sich leicht zurechtfinden. Im kurzen Einleitungskurs über Chancen in der Online-Welt werden Grundlagen erklärt, wie: was ist ein Server? Wie funktionieren Websites? Was ist eine IP Adresse? Eine Lektion besteht aus 3 bis 6 Videos, auf die am Ende ein Test folgt. Will man ein Zertifikat von Google haben, muss man insgesamt 26 Tests bestehen.
Die Inhalte der Kurse beschränken sich eher auf die Vermittlung von Basis-Wissen. So sind sie eher etwas für diejenigen, die sich noch nie mit digitalen Medien auseinander gesetzt haben. Beim Bonusmaterial finden sich Kurse für jedermann wie “Erfolgreich bewerben” oder “Produktiver arbeiten”, die auf klassische Zeitdiebe aufmerksam machen und allgemeine Tips für das Arbeiten geben. In den Videos wird zwar immer wieder auf die hauseigenen Produkte wie Google-Notes und Analytics verwiesen, aber kostenfreie Produkte dienen ja bekannterweise häufig auch der Eigenwerbung. Für mich konnte ich keine neuen oder unerwarteten Erkenntnisse ziehen, aber für Einsteiger in die Internet-Welt bietet die Zukunftswerkstatt einen guten Überblick.
“E-Learner” aus Versehen
Als ich das Seminar “Francis Bacon, Wissenschaftstheorie” belegte, hatte ich keine besonderen Erwartungen: Francis Bacon und sein Novum Organon? Nie gehört. Bei lateinischen Titeln denke ich direkt an verstaubte, halb zerfallene Bücher in altdeutscher Schrift. Umso überraschter war ich, als ich in der ersten Sitzung erfuhr, dass ich mich, ohne es zu wissen, für ein Blended-Learning-Seminar angemeldet hatte. In nur vier Sitzungen während des Semesters sollten Fragen beantwortet und Unklarheiten beseitigt werden, alles andere sollte über ILIAS laufen. Ich kannte ILIAS bis zu diesem Zeitpunkt nur als Plattform, auf der die Lehrenden die Semesterpläne und Literatur zur Verfügung stellten und konnte mir nicht vorstellen, wie ein ganzer Kurs aussehen sollte, der mit ILIAS erstellt wurde. Dabei bietet die in den 90er Jahren an der Universität Köln entwickelte Software mittlerweile eine große Bandbreite an Funktionen für die Erstellung von Online-Kursen.
Blended Learning
Dr. Thomas Jeschke, Philosophie-Dozent und Akademischer Rat a.Z. des Thomas Instituts an der Universität zu Köln, hält ILIAS für “eines der potentesten Tools in diesem Zusammenhang. Im Großen und Ganzen kann ich mit ILIAS alles machen, was ich möchte, ohne dass ich dabei den Eindruck habe, eingeschränkt zu sein”. Der Francis Bacon-Kurs auf ILIAS hat eine Startseite mit allgemeinen Informationen zum Kursinhalt und Unterordner, die nach Themen geordnet sind. Auf diese kann man nach Belieben zugreifen und so präferierte Inhalte aufrufen. Außerdem gibt es ein Forum, in dem man sich mit Kommilitonen, aber auch mit dem Dozenten austauschen kann. Während der Präsenz-Sitzungen kann man außerdem online live Notizen machen, auf die alle Mitglieder Zugriff haben, sodass auch Abwesende auf dem Laufenden gehalten werden können.
Virtuelle Lernräume
Gegenüber Präsenzseminaren bieten Online-Kurse oder auch Blended-Learning-Seminare den Vorteil, dass jeder einen persönlichen Zugang zum Thema erhält. Man hat die Möglichkeit, sein Lern-Tempo selbst festzulegen. Um Zugang zu ILIAS zu haben, muss man allerdings eingeschriebener Student sein und ein Mitglied des Kurses. Für andere Plattformen braucht man nicht mal das: es wird kein Abitur oder ein sonstiger Abschluss benötigt, nur ein Internetzugang. So kann jeder, der an einem Themenbereich interessiert ist, Kurse belegen und Zertifikate erlangen. Aber wie funktioniert die Prüfung bei Online-Kursen? Ein Professor kann immerhin schlecht die Arbeiten von 20.000 Studierenden korrigieren. Die häufigste Prüfungsform ist ein Multiple Choice Test. Muss man aber Essays verfassen, lesen die Teilnehmenden ihre Arbeiten oft gegenseitig, das nennt man Peer Grading. Diese Benotungs-Methode führt laut einer Studie zu ähnlichen Benotungen, wie ein Dozent sie geben würde.
Gestaltungsfreiheit
Praktisch ist, dass man die Kurse wieder verwenden kann: zwar muss man zunächst viel Zeit und Arbeit investieren, die rechnet sich aber laut Jeschke im Nachhinein: “Da ich jetzt grundsätzlich weiß, wie ich so einen Kurs strukturieren kann, fallen manche strukturellen und technischen Überlegungen weg und teilweise nur noch kleine Verbesserungen an”. Aber wenn die Kurse immer besser und ausführlicher werden, werden da nicht Universitäten und Dozenten irgendwann überflüssig? Das ist eher unwahrscheinlich, denn für die Ausstellung von Online-Zertifikaten ist trotzdem die eine oder andere Präsenzsitzung Pflicht. Außerdem betont Thomas Jeschke, “dass in Zeiten sozialer Medien die persönliche Begegnung immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es macht einen Unterschied, ob ich mich virtuell argumentativ austausche oder von Angesicht zu Angesicht”.
Nach dem Erfolg seines Blended-Learning-Seminars, bietet er nun ein Seminar an, in dem die Studierenden selbstständig den zugehörigen Online-Kurs auf ILIAS erstellen und ist begeistert: „Ich sehe bis dato bei einem harten Kern eine Dynamik, die ich so nicht erwartet hatte! Die ersten beiden Sitzungen war ich quasi Gast im eigenen Seminar, weil die Studierenden sich selbst moderierten und organisierten". Er findet es wichtig, dass “die Studierenden mehr zu sagen haben, und zwar im Sinne eines „Studierende Ermächtigen“ (oder neudeutsch: „Empowering Students“)!”. Und wie ginge das besser, als in einem von Studierenden selbst gestalteten Kurs?