Glühbirne | Die Gastarbeiter sind zurückgegangen
Verfasst von Esra Ayari am
Ein Altbau in Köln Nippes. Einer von vielen, eng aneinander gereiht, unspektakulär. Doch bekleidet mit einem wunderschönen Natursteinboden. Ein Natursteinboden in edlen Farben, der 50 Jahre die Gehfläche edler Füße war. Das Haus und der Boden stehen, doch die Menschen sind gegangen.
Die Menschen, die ich glücklicherweise meine Großeltern nennen durfte. Sie kamen als "Gastarbeiter", trennten sich von den Steinen am Rande der Dorfwege in ihrer Heimat, um dann in Deutschland auf diesem Steinboden anzukommen. Vor circa 50 Jahren haben die Füße meiner Großeltern zum ersten Mal diesen Steinboden berührt. Wer hätte geahnt, dass wir ihn rund 50 Jahre später begehen, um alle Habseligkeiten, Erinnerungen und das letzte Stück Leben aus der 34 Quadratmeter Wohnung rauszutragen, weil sie nicht mehr da sind. Meine Großeltern.
Oma hat uns vor 16 Jahren verlassen. Das Herz wollte nicht mehr. Was für eine Ironie des Schicksals, dass dieser Steinboden das Letzte war, was sie vor ihrem Ableben sah. Opa war noch da. Ein Mann, der das Fundament der Familie war. Kunstsammler, Freidenker, Starrkopf, Querulant und Führerscheinverweigerer. "Immer anders sein" war sein Motto und er lebte danach wie kein anderer. Doch eines hatte er mit so vielen anderen "Gastarbeitern" gemein. Das zweigeteilte Herz. Die eine Hälfte in Deutschland, die andere in der Türkei. Die "Wir werden zurück gehen"-Mentalität an der folienverpackten Fernbedienung erkennbar.
Sie sind zurückgegangen. Für immer. Vor zwei Jahren hat mein Opa diesen Steinboden das letzte Mal betreten und hat sich zu meiner Oma gelegt. Die Steine am Rande der Dorfwege säumen nun ihre Grabstätten.