Storyteller | Kurzgeschichte: Wartezimmer
Verfasst von Lisa Knobloch am
Ich sitze auf einem unbequemen Stuhl dessen Beschaffenheit zu dem neumodisch-sterilen Charakter der großen Arztpraxis passt. Meine Oberschenkel ruhen unbeweglich auf der Sitzfläche. Lediglich mein linker Fuß wippt vor Aufregung im Takt der Unruhe, die mich wie ein Ohrwurm befallen hat.Um mich herum, rechts und links von mir, als auch in meiner Front sitzen kränkelnde Menschen. Die unterschiedlichsten Menschen. Die außer der Krankheit und dem momentanen Aufenthalt, in diesem Wartezimmer, anscheinend nichts gemeinsam haben. Als ob einzig diese Tatsache sie eint.
Ein Mann mittleren Alters, der mir gegenüber sitzt, weckt meine Aufmerksamkeit. Ziellos schaut er im anonym wirkenden Raum umher. Ein Anderer füllt Formulare aus ehe er sich über den glänzend-weißen Steinboden zur Information bewegt. Ansonsten ist alles still. Ich spüre eine subtile Spannung die sich im ganzen Raum ausbreitet. Eine Anspannung sondergleichen die ich immer nur beim Arzt empfinde.Obwohl ich geschwächt bin kann ich diese Stimmung spüren die nicht nur von mir ausgeht. Diese spezielle nicht greifbare Spannung die sich vor mir aufbaut. Die innere Unruhe die sie in mir auslöst hält mich zwar bei Bewusstsein aber zwingt mich an nichts anderes mehr zu denken als die Krankheit und die immer näher kommende, unausweichliche Untersuchung.Die verschiedenen Magazine, die Normalsterblichen zur leichten Unterhaltung und den Patienten zur Überbrückung der Wartezeit dienen schlagen bei mir längst nicht mehr an. Statt in der morastartigen, banale Welt der Prominenten zu versinken, lasse ich mich von meinen Angstgefühlen übermannen. Die Angst breitet sich in mir aus. Vereinnahmt mich gänzlich, sodass ich das Gefühl habe zu ersticken.
Plötzlich vernehmen meine Ohren eine Frauenstimme welche die Stille durchbricht. Endlich werde ich aus meinem Gedankenkarussell aus Angst und Anspannung befreit. Die Frau der ich die Stimme zuordne fängt ein Gespräch mit der neben ihr sitzenden Frau an. Ich glaube sie kennen sich. Die Frauen reden über viele Alltäglichkeiten bis sie auf ein anderes, mich vereinnahmendes Gesprächsthema kommen. Sie sprechen über ihre Beziehung zu ihrem jeweiligen Partner. Es ist zwar unhöflich ihrem Gespräch zu folgen aber ich kann und will nicht weghören. Ich will nicht weghören weil ihr Gesprächsthema auch Mich und alle anderen Leute im Wartezimmer betrifft. Sie sprechen von Liebe.
Schon schweifen meine Gedanken ab und in mir werden Bilder von meiner Erfahrung mit der Liebe wach. Ich spüre wie das frühere Gefühl mich und mein Herz durchflutet. Ich denke an den Mann meines Herzens. Dabei spüre ich ein vergessenes, wohlig-warmes Gefühl welches mich aus dem Wartezimmer hin zu ihm trägt. Ich stelle mir sein Lachen vor. Rufe es mir in mein Gedächtnis. Sein breites Lächeln und seine warmen braunen Augen. Ich Stelle mir den schönen Ort vor an dem er wohl gerade ohne mich sein mag, aber das macht mich nicht traurig weil ich einfach nur an ihn und nicht an seinen Verlust denke. Ich denke an die wundervolle, lange, kleine Ewigkeit die wir miteinander verbracht haben und das rückblickend jede Minute ein Geschenk war. Wie gut hat es das Leben doch mit mir gemeint, dass ich diese Person kennenlernen durfte. Wäre er jetzt nur neben dem seelischen auch noch physisch an meiner Seite. In Gedanken bei ihm, der Wartezimmeratmosphäre entronnen und in Vergangenem versunken höre ich dumpf im Hintergrund Geräusche die stetig lauter werden bis sie sich zu einer eindringlichen Stimme formen.
Abrupt werde ich aus meinem Tagtraum gerissen. Ich schaue verwirrt umher. Die Blicke der anderen Wartenden sind auf mich gerichtet. Die vornübergebeugt vor mir stehende Sprechstundenhilfe, blickt mich an und sagte mit erhobener Stimme und jede Silbe betonend :
„Frau Wohlgemuth ? Frau Wohlgemuth? Können Sie mich hören ?! Sie sind jetzt dran. Bitte gehen sie in Raum 1.“„Ja natürlich. Verzeihung.“ Höre ich meine zerbrechliche Stimme sagen. Ich sortierte mich kurz und unternehme einen ersten Aufstehversuch. Vergebens. Ich versuche es erneut.Mich auf meinen Gehstock stützend beginne ich meine in die Jahre gekommenen, spröden Gelenke in Bewegung zu setzen. Der Zahn der Zeit nagte schon seit einer beträchtlichen Weile an mir, sodass mir mein Zustand schon beinahe normal vorkommt. Aber weder der momentane Schmerz noch die Angst beherrschen mich. Beides verfliegt so schleichend wie es gekommen ist und einzig das Gefühl von meinem Liebsten und der Liebe zu ihm bleibt.Ich betrete in gemächlichem Tempo den Behandlungsraum. Der junge Arzt empfängt mich. „Guten Tag Frau Wohlgemuth, wie geht es uns denn Heute ?“ . Die Tür fällt hinter mir ins Schloss.