Bitte warten.
Verfasst von Richard Krings am
An der Supermarktkasse, an der Bushaltestelle, im Stau. Ständig müssen wir warten. Alleine im Wartezimmer beim Arzt verbringen wir im Schnitt sechs Stunden und 24 Minuten pro Jahr. Ein Erlebnisbericht.
Es ist 09:47 Uhr. Ich sitze im Wartezimmer meines Zahnarztes und warte. Auf denen im 'U' angeordneten, ockerfarbenen Freischwingern sitzt noch eine ältere Dame, die in das Magazin auf ihrem Schoß vertieft ist und scheinbar durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist. Ich hingegen langweile mich zu Tode. Ich entschließe mich dazu, es der Mitwartenden gleich zu tun und nehme mir den Stapel Zeitschriften neben mir vor. Da ich mich nicht für den Deutschlandbesuch von Prinz William und Herzogin Kate interessiere oder einen Garten habe, den ich bepflanzen kann, habe ich den Stapel schnell durch, sodass das erste Magazin wieder oben liegt. Lesezirkel bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Ich warte jetzt sicherlich schon eine halbe Stunde. Ein Blick auf die große, in Messing gefasste Uhr über der Tür lässt mich an meinem Zeitgefühl zweifeln. Es sind gerade mal fucking vier Minuten vergangen!? Wie kann das sein? Ungläubig verfolge ich den Sekundenzeiger, der in langsamen, angestrengten Schritten über das zahlenlose Ziffernblatt wandert.
Jeder von uns kennt das. Mal vergeht die Zeit wie im Flug, mal scheint sie still zu stehen. Das liegt daran, dass unser Gehirn keinen Bereich hat, der die Zeit objektiv messen kann. Unser Zeitempfinden ist also immer subjektiv und individuell. Ein Faktor der unsere Zeitwahrnehmung beeinflusst ist die Menge der Informationen die wir aufnehmen. Haben wir viele Informationen zu verarbeiten, kommt es uns so vor, als ob die Zeit schnell vergeht. Gibt es hingegen keine besonderen Ereignisse, scheint die Zeit still zu stehen. Im Rückblick scheint das aber genau umgekehrt zu sein. Ein Zeitabschnitt in dem viel passiert ist, kommt uns im Nachhinein lange vor. Momente in den wir nur gewartet und uns gelangweilt haben, bleiben kürzer in Erinnerung, da nicht viel passiert ist auf das wir zurückblicken können. Das ist der Grund warum einem es auch oftmals so vorkommt, dass die Zeit im Alter schneller vergeht als in den jungen Jahren. Den im Kindesalter gibt es viele neue Dinge zu entdecken, die das Gehirn erstmal verarbeiten muss.
Zurück im Wartezimmer. Die Tür öffnet sich, Doktor Diutinus, ein kleiner, magerer Mann mit eingefallenem Gesicht tritt in den Raum. Mit einem kurzen, nervösen Blick über seine Brille mustert er uns Wartende. Dann senkt er seinen Blick und starrt auf sein Klemmbrett, welches er zwischen Hand und Armbeuge eingeklemmt hat. Ungeduldig warte ich darauf, dass der Mediziner meinen Namen aufruft. “Frau von Wartburg?” Die mir gegenüber sitzende Dame legt ihr Magazin zur Seite, erhebt sich langsam und folgt dem Zahnarzt gemütlichen Schrittes ins Behandlungszimmer. Ok. Ich muss noch länger warten. Und ich brauch dringend eine Beschäftigung. In einer Zeitschrift, die mit einem weiblichen Vornamen betitelt ist und ein veraltetes und diskriminierendes Frauenbild suggeriert finde ich letztendlich ein Kreuzworträtsel. “Ausharren, lauern” mit sechs Buchstaben.