Die Makel des Bösen
Verfasst von Niels Brause am
Amerikanische Dermatologen stellten in einer Studie fest, dass Bösewichte überdurchschnittlich oft an Hautkrankheiten leiden. Die Forscher befürchten dadurch eine Stigmatisierung von Menschen mit Hautproblemen in der Gesellschaft. Doch sind Zuschauer wirklich so einfach gestrickt?
Hautprobleme kennt vermutlich jeder. Spätestens wenn man das Vergnügen hat, in die Pubertät zu kommen, kann man aus erster Haut erfahren, wie nervig das größte Organ des Menschen (durchschnittlich zwei Quadratmeter Oberfläche) sein kann. Haut kann trocken sein, zu fettig, uneben, pickelig und damit sogar schmerzhaft. Als wäre das für die Betroffenen nicht schon schlimm genug, wird schlechte Haut auch noch mit einem schlechten Charakter assoziiert, zumindest in Hollywood. Zu diesem Schluss kommt eine Studie amerikanischer Dermatologen.
Die Dermatologen haben sich die Haut, der laut dem American Film Institute zehn schlimmsten Filmbösewichte aller Zeiten, genauer angeschaut und dabei Furchterregendes gesehen. Und schlechte Haut. Zu den Klassikern zählt die gewöhnliche Warze, die im Antlitz einer Hexe von Welt auf keinen Fall fehlen darf. So zu Sehen bei der bösen Hexe des Westens im Zauberer von Oz. Risswunden, Narben und periorbitale Hyperpigmentierung, also unnatürliche Hautverfärbungen, sehen wir bei Regan MacNeil im Exorzist (als wäre Tourette-Syndrom und im Strahlkotzen noch nicht schlimm genug) und Darth Vaders ungesund bleichen Teint, der ebenfalls noch mit Narben, Risswunden und Haarausfall garniert wird.
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Schneewittchens böse Stiefmutter geht sogar so weit und macht sich mit Hilfe von Magie noch einmal extra hässlich, bevor sie Schneewittchen zu vergiften versucht. Als sei es unzumutbar, dass die zweitschönste Frau im Land eine solche Tat mit ihrem eignen makellosen Gesicht vollbringt. Eifersucht ist einem hübschen Gesicht noch zu zumuten, aber ein Mord? Da muss vorher eine knollige Nasenverdickung, tiefe Falten, die obligatorische Hexenwarze und eine ungesunde Gesichtsfarbe her. Der wahrhaften bösen Tat muss eine wahrhaft hässlich machende Typveränderung vorangehen.
In Hollywoods Bildsprache geht ein schlechter Charakter automatisch mit schlechter Haut einher und dies hat einen Grund. In seinen Anfangstagen war der Film noch stumm. Dadurch waren die Möglichkeiten, einen Bösewicht als solchen darzustellen stark eingeschränkt. Kein diabolisches Lachen, keine anmaßend-arrogante Sprechweise, keine sinisteren Andeutungen. Der Bösewicht konnte nur durch bösartige Mimik profilieren und auch die war durch die schlechte Aufnahme Qualität der frühen Aufnahmetechnik nur ansatzweise wahrzunehmen. Deutlich sichtbare Auffälligkeiten wie Narben waren da hilfreich, um eine bewegte und gewalttätige Vergangenheit zu suggerieren.
Reale Menschen, die über solche auffälligen Makel verfügen, sind aber in den meisten Fällen nicht böse. Sie hatten meistens einfach nur Pech. Auf diese Tatsache, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen schlechtem Äußeren und schlechten Charakter besteht, wollen die amerikanischen Dermatologen mit ihrer Studie aufmerksam machen.
Hollywood scheint dabei ein Wiederholungstäter zu sein, was die Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen angeht. Während des zweiten Weltkrieges und darüber hinaus, hatten viele Bösewichte Charakteristika, die damals als typisch „deutsch“ galten und oft auch deutsch-ähnliche Akzente. Im kalten Krieg wurden aus den bösen Nazis dann böse Kommunisten, die aus kalten Ländern mit russische Prägung stammten. Das Böse scheint ein Muster zu brauchen, damit der Zuschauer die Figurenkonstellation nachvollziehen kann. Es richtig und wichtig, darauf zu verweisen, dass diese Muster in der wirklichen Welt keine Gültigkeit haben.
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Mir stellt sich abschließend noch die Frage, ob der Zuschauer im 21. Jahrhundert wirklich immer noch auf optische Hinweise angewiesen ist, um der Dramaturgie eines Filmes folgen zu können. Ich glaube nicht und ich glaube auch, dass die Filmindustrie dies inzwischen auch begriffen hat. Unter den zehn größten Filmbösewichten aller Zeiten befinden sich keine Bösewichte der letzten 25 Jahre. Der aktuellste Film ist „Das Schweigen der Lämmer“, in dem der Bösewicht Hannibal Lecter zwar unter Haarausfall leidet, aber ansonsten nicht besonders abstoßend wirkt. Ganz im Gegenteil, Anthony Hopkins spielt Hannibal Lecter als charismatischen Intellektuellen, der nicht nur die Protagonisten Clarice Starling in seinen Bann zieht (trotz akuter Angst vor Gesichtsverlust), sondern auch den Zuschauer. Warum sonst sollte die Fortsetzung auch schlicht „Hannibal“ heißen?
Also ihr geschätzten Dermatologen. Eure Beobachtungen zu Hollywoods Filmsprache sind zwar korrekt, aber nicht mehr aktuelle. Der Zuschauer legt keinen Wert mehr auf plakative Unterscheidungen zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Wir leben in einer Welt voller Grautöne und diese spiegeln sich auch auf der Haut unser Bösewichte wieder. Manche sind zwar immer noch hässlich wie die Nacht, andere sind aber auch Schönlinge, die gerade durch ihre Makellosigkeit noch bedrohlicher wirken. Die Verfilmung des Bestseller Romans „Gone Girl“ aus dem Jahre 2014 ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür.
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