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Wahre Freundschaft?

Verfasst von Eva Binkert am

Ich hatte übers Wochenende Besuch von einem alten Freund, den ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Und zwischen all den Gin Tonics, den zahllosen Tassen Kaffee zum Aufwachen im Laufe des nächsten Tages und im Wusel all der aufgeregten Gespräche und Eindrücke wurde mir klar, was wahre Freundschaft für mich bedeutet. 

 

(CC-0) Alexas_Fotos / pixabay.com

“Wahre Freundschaft”, nach der ersten Konnotation die Königsklasse unter allen sozialen Kontakten, klingt erstmal nach einer sehr hochtrabenden Sache. Man denkt, “wahre Freunde” sind diejenigen, die übrig bleiben wenn man die abzieht, die man niemals anrufen würde, wenns einem mal schlecht geht. Und diejenigen, mit denen man noch nie so richtig gestritten hat. Und dann noch die, mit denen man bestimmte Themen ausspart, weil man Angst vor einem Streit oder einer Diskussion hat. Leute, so der Konsens, bei denen man nicht genau so sein kann, wie man ist, sind keine “wahren Freunde”.

Ich kann diesen Hang zum Auserlesen gut verstehen. Im Zeitalter von zahllosen Facebookfreunden ist das Bedürfnis die Lage ein wenig zu sortieren gut nachvollziehbar. Und auch ich bin oft genervt von Gesprächen mit “Freunden”, bei denen ich das Gefühl habe, mich selbst regelrecht zu gängeln – in eine Richtung wie sie dem Gegenüber genehm ist. Diese Gespräche fühlen sich oft hohl an. Während ich ein gekünsteltes Lachen einschiebe hoffe ich meist auf ein schnelles Ende der Konversation und schiebe die Person in meiner Freundesliste einige Ränge weiter nach hinten.

Ein qualitativer Ansatz bei der Kategorisierung von Freundschaften ist ja durchaus sinnvoll- und wir gehen ja quasi automatisch nach einer Art Filterprinzip vor. Nichts ist schließlich nerviger als die unumgängliche Nähe zu Menschen, in deren Gegenwart man nicht sich selbst sein kann (oder zu sein zu können glaubt). Natürlich zählen die, bei denen man von meinen Ängsten und Fehlern erzählen kann irgendwie mehr.

Aber die Anderen, die auf den hinteren Plätzen meiner Freundesliste, haben mir auch sehr viel beigebracht. Soziale Geschmeidigkeit ist schließlich ein hohes Gut. Man wird niemals nur von Leuten umgeben sein, die Potential für Platz 1-3 haben. Dass sich nach 25 Jahren (meines Lebens) nach oben genannten Filterfragen gerade mal vier “wahre Freunde” übrig bleiben, spricht schon sehr dafür, dass wir im Leben wesentlich öfter mit Menschen zu tun haben, die eben niemals den Status von “wahren Freunden” bekommen werden. Beim nächsten angespannten Gespräch mit der Person auf Rang 98 werde ich dran denken und mir vielleicht ein bisschen mehr Zeit für sie nehmen.

Dieser Großmut könnte aber auch rein situativ sein – das Resultat eines emotionalen Höhenflugs am Wochenende: Ich habe nämlich entdeckt, dass ich einen “wahren Freund” mehr habe, als ich dachte. Das Gefühl von bedingungsloser Zuneigung und das Bedürfnis, alles was einem auf der Seele liegt mal auszupacken – ganz ohne Schminke, und dafür Feedback zu bekommen von jemandem, dem man vertraut. Das ist schon was tolles.

Vielleicht kann jeder der ein, zwei “wahre Freunde” in Reichweite hat auch besser mit den hinteren Rängen klar kommen und sie als das begreifen was sie sind: unverzichtbar überflüssig.



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