Und was macht man dann damit?! Ein Plädoyer für den Mut zur Unsicherheit
Verfasst von Eva Binkert am
Jährlich machen
etwa 300.000 junge Leute ihr Abi. Schon in den Jahren davor waren die
meisten von ihnen der bohrenden Nachfrage ihrer Eltern ausgesetzt, wo
es denn danach hingehen soll. “Erst mal weg” sagen dann
mittlerweile die meisten, während sie den Rucksack packen, mit dem
sie nach Australien ausfliegen wollen um dort neben schlimmem
Sonnenbrand auch unzählige “where-do-you-come-from smalltalks”
mit ihresgleichen über sich ergehen zu lassen.
Wieder auf
deutschem Boden gelandet, muss das leidige Thema der Zukunftsplanung
wieder in Angriff genommen werden. Von Onkeln, die dringend eine
“handfeste Ausbildung” empfehlen zu besorgten Eltern, die für
ihr Kind nur das allerbeste - “ein Maschinenbaustudium” im Sinn
haben, “denn damit hat man super Jobchancen” wird von allen
Seiten an einem gezerrt.
Ich selbst war 19,
als ich nach einem sorgenfreien Auslandsaufenthalt wieder akkut unter
erwartungsvollem Beschuss von bohrenden Nachfragen stand. Nachdem die
Berufsberatung beim Arbeitsamt mir den Posten der Pfarrerin ans Herz
gelegt hatte, schlug ich jedoch alle Ratschläge in den Wind. Ich
entschied mich, das Ganze meinen spontanen Eingebungen zu
überlassen.
Ich setzte mich an den PC und bewarb mich in ganz
Deutschland nach dem Gieskannenprinzip für alle Fächer die die
Geisteswissenschaft jemals gesehen hatte. Ich bekam viele Zusagen.
Eine Uni lud mich ein zum Einstufungstest, ich fuhr hin, lernte
einige nette Leute kennen, bestand den Test und blieb die nächsten
vier Jahre in der Stadt – sehr glücklich.
Mit der Entscheidung für Studienfach und – ort hatte der Spießrutenlauf aber erst begonnen: “Politikwissenschaft? Was macht man denn damit?” begleitete die Vorstellung meiner Okkupation in fast jeder Runde. Ich lernte, mechanisch einige nichtssagende Floskeln von “unglaublich vielen Möglichkeiten” daherzusagen und schnell das Thema zu wechseln.
Dass ich mit diesem Unwohlsein nicht alleine war, wurde mir schnell klar. Ausgenommen die Lehramts-, Jura- und Medizinstudenten, wussten die allerwenigsten in meinem Umfeld mit welchem Berufstitel sie sich einmal würden schmücken können, ob dieser ein beeindruckender sein würde oder mit welchen Einkommen sie zu rechnen hätten. Das hat vielen, auch mir selbst, zeitweise den Wind aus den Segeln genommen. Denn in einer Gesellschaft, die (berufliche) Unsicherheit zur Schwäche stigmatisiert, haben fast alle davon betroffenen Studenten einen Ballast im Nacken, der ihre Scheu vor dem Berufsleben unnötig wachsen lässt.
Dabei ist Unsicherheit, wie auch im Fall meiner Entscheidung für meinen ersten Studienort, oft gar eine Chance: indem wir uns ihr aussetzen, lernen wir uns selbst kennen und entwickeln uns fern vom geradlinigen Vorzeige-Lebensweg.
Ich finde man sollte sich langsam mal fragen, ob die Entscheidungsmaßstäbe die wir uns ständig selbst setzen am Ende nichts anderes sind, als Illusionen, an denen wir uns entlang hangeln, weil wir ohne sie gänzlich überfordert von der fehlenden Ordung und Konvention in unserem Leben wären. Dabei verengt sich unser Blick und wir verlieren die Wendigkeit, Offenheit und letztendlich den Mut, den es braucht, um ein reiches Leben zu führen.