We are not alone! Wir sind die Kultur!
Verfasst von Rinske van der Horst am
Es war der Tag der Demos. Gleich vier Interessengemeinschaften treffen sich am Dienstag am Kölner Rathaus um für ihre Sache einzustehen.
Ich bin heute bei der Demo für die Vielfalt der Freien Szene. Verschiedene Kölner Organisationen wie das KulturNetz Köln haben gemeinsam mit Kulturinstitutionen der Freien Szene und Künstler:innen zur Demonstration aufgerufen, um für die Existenz der Freien Szene zu kämpfen. Diese sieht sich bedroht von geplanten Haushaltskürzungen sowohl auf Landes- als auch auf städtischer Ebene. Laut KStA wären von den Kürzungen rund 10.000 Künstler:innen und Kulturschaffende betroffen, denn die Freie Szene in Köln mache 60% aller Kulturveranstaltungen in der Stadt aus.
Radiobeitrag - Für die Freie Szene
Kurz vor Demobeginn um 14 Uhr stehen ein paar Grüppchen beieinander auf dem Theo-Burauen-Platz. Viele Menschen kennen sich. Auch wenn es kein schöner Anlass ist, um sich zu versammeln, ist der Austausch groß und gelacht wird trotzdem.
Ich nutze die Gelegenheit, um mich nochmal umzuhören und spreche mit Felix Hauptmann. Er ist Pianist. und Komponist im Bereich Improvisierte Musik. Ihn selbst und seine Kolleg:innen würden Kürzungen betreffen und womöglich die Existenzgrundlage entziehen, da die Künstler:innen mit ihren Projekten, Produktionen und Veranstaltungen auf Förderungen seitens der Stadt und des Landes angewiesen sind. Er verstehe zwar, dass gespart werden müsse, kritisiert jedoch die Herangehensweise der Politik:
"Ich finde es aber total falsch bei Bildung und Kunst anzusetzen und da zu kürzen. Vor allem bei der Freien Szene, weil sowieso schon sehr wenig Geld zur Verfügung steht, stand. Und wenn man das jetzt noch weiter einkürzt, geht es halt echt an die Existenz von den Künstler:innen ran."
Die Demo beginnt. Das Concerto Köln stimmt die Menschen ein.
Michael Moser, Teil des Vorstands des KulturNetz Köln und Veranstalter, betritt die hier aufgebaute Bühne der Cologne Club Rad Tour 2024. Michael Moser erinnert die Demonstrierenden an ihre letzte Zusammenkunft im Juni - heute stehen sie schon wieder hier. Moser tritt definitiv nicht freudig, aber kämpferisch auf. Er appelliert "Ohne uns funktioniert Köln nicht" und bittet die erste Rednerin auf die Bühne.
Midori Seiler vom Zentrum für alte Musik Köln (Zamus) stimmt die Demonstrierenden mit einem kleinen Intermezzo von "Mensch" von Herbert Grönemeyer ein. Der Mensch vergisst, verdrängt, schwärmt, glaubt, lehnt sich an, vertraut, lacht und lebt - alles Dinge die Kultur und Kunst könne und wofür wir sie bräuchten - als Essenz unseres Seins, als der Ausdruck von unseren Gefühlen.
Es sei so schon schwierig von den Einnahmen zu leben und jeder Tag ein Kampf "alles schon heute kein Ponyhof". Geplante Kürzungen kritisiert Seiler scharf: Sie würden alles vernichten, was bis dato an Strukturen geschaffen wurde, bedeutet die Freie Szene in Teilen so einstampfen, dass sie nicht wiederzubeleben wäre. Die Freie Szene in Köln sei einzigartig, in der nicht grade schönsten Stadt Deutschlands habe die Freie Szene eine ganz besondere Strahlkraft.
Als Nächstes betritt Jonathan Sieger die Bühne. Er ist Geschäftsführer des Bürgerzentrums (BüZe) in Ehrenfeld. Dieser Redner geht pragmatischer vor. Ohne Zettel in der Hand zwingt er sich freizusprechen, damit man sein Zittern nicht sehen würde, merkt er an. Das macht aber gar nix, bei der Emotionalität die bei dem Kulturschaffenden mitschwingt.
Ihn interessiert besonders eines: der soziale Aspekt und die
Sinngebung durch die Freie Szene. Jonathan Sieger fragt sich nicht wofür er
arbeitet, er weiß es: das Obdachlosenfrühstück, das "Bühnebieten".
Für Jonathan Sieger gibt es genau einen Schuldigen daran, Einer, der in der Wilhelmstraße in Berlin sitzt: Christian Lindner. Als Bundesfinanzminister der Ampel-Koalition pocht Lindner auf die Einhaltung der Schuldenbremse und hält die Ministerien zum Sparen an. Das Ausbaden würde doch immer auf kommunaler Ebene stattfinden. Es würde immer ein "Leuchtturmprojekt", ein Vorzeigeprojekt gefordert - raus aus der Schmuddelecke. Sieger versteht das nicht. Das was sie machen, machen sie doch richtig gut, nur würde das von der Politik nicht wahrgenommen. Die Freie Szene schaffe soziale Orte und Experimentierräume, welche essenziell seien, auch mit Blick auf die Stärkung von Resilienz gegen Rechts. Vor einer Sache hat Sieger besondere Sorge: Soziales solle doch bitte nicht gegen Kultur ausgespielt werden und appelliert an den Zusammenhalt.
In der folgenden musikalische Unterbrechung der Wortbeiträge durch Viktor Fox and Friends spreche ich mit Isa Almuth Schmidbauer. Sie ist Tänzerin. Als konkretes Beispiel, wie sie von den Kürzungen betroffen wäre, nennt sie die Tanzfaktur. Sie befürchtet, dass das Profitraining gestrichen werden könnte sowie zahlreich Aufführungen, die in dem kombinierten Haus aus Tanzschule und Spielstätte stattfinden. Besonders Nachwuchs-Künstler:innen würden die geplanten Kürzungen treffen:
"Es ist halt so, dass es sowieso als Berufseinsteiger ziemlich schwierig ist, was zu finden. Und jetzt halt die Chancen noch geringer sind, also es ist ein ziemlich allgemeines Stimmungsdown, generell mit allen Leuten, die noch nicht super etabliert sind. Aber selbst wenn man mit Leuten spricht die sehr etabliert sind, sind die so 'Wir wissen nicht, wie wir das weiter machen sollen.' und das ist halt eher auch so ne generelle Stimmung die sehr negativ einfach ist und frustrierend. Und wir bemühen uns halt sehr irgendwie Projekte aufzubauen und man kriegt halt immer so dieses Gefühl, dass es halt relativ unmöglich ist."
Jens Ponke spricht nicht frei. Man bekommt das Gefühl es ist ihm zu
wichtig, was er zu sagen hat, und möchte bloß nichts vergessen. Ponke spricht von der Club- und Kulturszene als Rückgrat der Gesellschaft, sie lege einen wichtigen Grundstein für die Sozialisation. Und das mache sie richtig gut. Sie bemühe sich Partizipation zu schaffen, Identität zu stiften und diskriminierungsarme Räume einzurichten. Die Szene sei eine Investition für die Demokratie und benennt als konkretes Beispiel die Aktion "Kein Kölsch für Nazis".
Nichtzuletzt fordert Ponke eine angemessene Einordnung in den Kulturhaushalt, als Arbeitgeber und touristischer Motor dürfe die Freie Szene nicht vergessen und die Sekundärumsätze, die durch sie erzielt, nicht außer Acht gelassen werden.
Hyngst übernimmt musikalisch und sorgt nochmal für ordentlich Stimmung auf dem Platz. Die Sängerin vergleicht die Beziehung zwischen Politik und Freier Szene mit den Beziehungen des modernen Zeitalters: Unverbindlich. Wie mit Hyngst Bumble Matches wäre es auch mit der Stadt Köln höchste Zeit für ein klärendes Gespräch mit Hoffnung auf eine langersehnte "comitted relationship".
Schließlich erteilt sie der Politik getreu ihrem Song "Hausverbot in Ehrenfeld" als Wohlfühl-Ort und Stammviertel der Freien Szene. Immer wieder wendet sich Hyngst dem Rathaus zu und singt die hohen Fenster an.
Das Afrika Film Festival endete vor zwei Tagen - die meisten Beteiligten seien nach den Festivaltagen erkrankt, deswegen spricht heute Ruth Spätling stellvertretend für Muslim Al-Hamdan. Er könne sich wie viele seiner Mitstreiter:innen "keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen". Doch wie lange der bleibt, sei ungewiss, schon nächhstes Jahr sei ungewiss. Es sein immer ein Kampf um Anerkennung in der Haushaltsförderung mit Verweis auf die Entwicklungspolitik. Der aktuelle Zustand sei katastrophal und Kürzungen ein total falsches Signal in dieser Zeit. Stattdessen fordert Al-Hamdan Existenzsicherung und damit die Ermöglichung von Kulturleistungen: Welche diese Stadt ausmachen, im Wesentlichen zur Lebensqualität beitragen und darüber hinaus zum Nachdenken anregen.
Mit seinen schließenden Worten wendet sich Manuel Moser noch einmal konkret an die Politiker:innen und insbesondere an Stefan Charles, den Kölner Kulturdezernent, welcher sich schützend vor die Freie Szene stellen soll: "Es ist ihre Aufgabe das zu tun". Das Kulturamt soll schließlich Partner und Interessensvertreter der Kulturschaffenden sein. Köln sollte einst Stadt der Nachhaltigkeit werden, fährt Moser fort, doch nachhaltig wäre das ganz und gar nicht diese Szene zu kürzen.
Die Freie Szene stünde heute nicht hier in Form von Bittsteller:innen, sondern als Menschen, welche leider schon immer unter prekären Bedingungen arbeiten mussten. Durch Kürzungen könne diese Stadt nur ärmer werden, diese würden nicht akzeptiert, sondern im Gegenteil. eine Erhöhung des Etats wäre angemessen.
Laut KulturNetzKöln gab es seitens der Politik positive Rückmeldung. Man habe wahrgenommen, dass die Szene eng zusammensteht und auf sich aufmerksam macht. Konkrete Maßnahmen oder Planänderungen wurden bislang noch nicht genannt.