Die Faszination des Vergessenen
Verfasst von Franziska Böhmer am
„Wenn diese Mauern sprechen könnten, hätten sie uns einiges zu erzählen.“
Am Eingang türmen sich Müllberge. LKWs laden Bauschutt auf dem Gelände ab, Jugendliche schmeißen leere Chipstüten in das wuchernde Gebüsch, Abhängige hinterlassen Spritzen. So entwickelt sich das Gelände rund um die Villa Fühlingen zunehmend zur illegalen Mülldeponie.
An der Neusser Landstraße, gegenüber des Fühlinger Sees, hinter dichtem Buschwerk versteckt sich einer der bekanntesten Lost Places Kölns. Seit 1963 diniert in den Räumen mit den hohen Decken niemand mehr. Kein Maschendrahtzaun, keine Schranke, lediglich ausgedorrte Pflanzen trennen das geschichtsträchtige Anwesen von der Außenwelt.
Wer übernimmt Verantwortung?
„Niemand fühlt sich für den Ort zuständig“, erklärt der SPD Fraktionsvorsitzende Inan Gökpinar. Seit Jahren kämpft der Chorweiler Politiker für eine Zukunft der Villa, denn diese scheint derzeit nicht zu existieren. Vor 2 Jahren stellte Gökpinar bezüglich der Müllsituation eine mündliche Anfrage an die Stadt Köln. Bis heute: keine Antwort. Die Firma Dolphin GmBH , der die Villa ursprünglich gehörte ist insolvent. Mitte Mai dieses Jahres wurde der Denkmalschutz aufgehoben. Was jetzt mit Haus Fühlingen geschieht, ist ungewiss. Denn die Zuständigkeit wird stetig weitergereicht. Von der Stadt Köln, bis hin zur Landesebene. Doch laut Gökpinar fühlt sich niemand von den Behörden verantwortlich.
Faszination für Lost Places
Bernd (41) arbeitet als Fertigungsleiter in einem Elektronikbetrieb. In seiner Freizeit verfolgt er ein ungewöhnliches Hobby. Er besucht verlassene Gebäude - sogenannte „Lost Places“. Schon in seiner Kindheit zieht das Mysterium der vergessenen Orte ihn in seinen Bann. Aus der kindlichen Abenteuerlust entwickelt sich eine ernsthafte Faszination. Heute teilt er seine Entdeckungstouren auf YouTube.
Zerstörung statt Wertschätzung
Die fehlende Kontrolle durch das Ordnungsamt zieht nicht nur Geschichtsinteressierte an. Sachbeschädigungen, Schmierereien, eingeschlagene Scheiben sind die Kehrseite der Abenteuerlust. Manche Menschen nutzen Lost Places, um Dampf abzulassen. So reißen sie Kabel aus den alten Gemäuern, um die Errungenschaften danach auf dem Schrottplatz zu verkaufen. „In der Szene nennt man sie Kabelratten“ erklärt Bernd. Er findet die Sachbeschädigungen bedauerlich: „Wenn man Orte nach einem Jahr wieder besucht, ist es nicht mal der Verfall, sondern die Sachbeschädigung (…) das ist leider die unschöne Seite. Das macht einen umso mehr traurig. Man möchte das ja festhalten und nicht, dass alles zerstört wird.“ So dominiert Zerstörung statt historischer Wertschätzung und Zerfall statt politischem Eingreifen.
Ein gefährliches Hobby
Das Betreten der Lost Places kommt nicht ohne Risiken. Festes Schuhwerk ist laut Bernd Grundvoraussetzung. Außerdem checkt der Urban Explorer vorab die Bausubstanz. Die Villa Fühlingen besteht hauptsächlich aus Steintreppen, also kein Problem. Das zweite Stockwerk bleibt für Bernd allerdings tabu, die Holzböden sind zu marode und somit ist die Einsturzgefahr zu groß. „Manchmal muss man auf die Stimme der Vernunft hören, um es nicht zu übertreiben. Man möchte ja abends gesund nach Hause kommen.“ Vollständige Sicherheit kann bei der waghalsigen Freizeitbeschäftigung jedoch nicht gewährleistet werden.
Andenken in der virtuellen Welt
Das Internet zeigt alle Stockwerke des Anwesens, in jeglichen Facetten abgelichtet. Die Lost Place Community ist über die sozialen Medien miteinander vernetzt und tauscht sich über Erfahrungen aus: „Im Heizungskeller bekamen wir plötzlich ein Gefühl von beklemmender Luftnot, wie wenn man gewürgt wird. Im Stockwerk über uns ein lauter Schrei, obwohl niemand dort war.“ So erhält die Villa Fühlingen den Status als DAS Kölner „Geisterhaus“. Bernd sieht solche Zuschreibungen kritisch, oft seien diese bei den Haaren herbeigezogen, um Lost Places interessanter zu machen. Obwohl sich Bernd davon nicht beeinflussen lassen möchte, kann aber auch er ein beklemmendes Gefühl nicht abstreiten. Eine lang vergangene Zeit lastet schwer auf den Gemäuern.
Ein Zeichen der Vergangenheit
Eine Zeit als auf dem Gelände die blutige Schlacht von Worringen ausgetragen wurde. Das Gemetzel kostete 2.500 Menschen das Leben. Eine Zeit als die Villa als prunkvolle Sommerresidenz von Eduard Freiherr von Oppenheim diente. Eine Zeit, in der der Zwangsarbeiter Edward Margot aufgrund einer falschen Anschuldigung hingerichtet wurde. Eine Zeit in der ein ehemaliger NS-Richter im Haus Fühlingen residierte und dort Suizid beging.
Wenn Geschichte verfällt...
„Das Gebäude verfällt und mit ihm ein Teil der Geschichte des Kölner Nordens“ beteuert Gökpinar. Die Villa könnte saniert werden - Eine Hotelanlage für das nahegelegene Aqualand, eine Gedenkstätte für die einst dort stationierten Zwangsarbeiter*innen oder eine Unterkunft für Geflüchtete entstehen. All diese Nutzungsmöglichkeiten standen zur Diskussion. Stattdessen passierte nichts. Selbst für einen Abriss des Gemäuers müssten, laut Gökpinar, Millionen investiert werden. Dazu ist die Stadt Köln nicht bereit. In einer schriftlichen Stellungnahme teilte die Pressestelle der Stadt Köln uns mit, dass der Denkmalwert des Gebäudes nicht mehr gegeben sei. Bei regelmäßigen Kontrollen durch das Ordnungsamt seien bisher keine negativen Folgen festzustellen. Da sich die Müllablagerungen auf einem Privatgelände befinden und ungefährlich seinen, sieht die Stadt Köln keinen Grund einzugreifen.
Deswegen sprechen die Gemäuer der Villa Fühlingen eine Sprache des Verfalls. Stück für Stück bröckelt ihre Geschichte und vermischt sich mit den Müllbergen. Das Gebäude ist zwar weiter existent, das Leben, die Menschen und ihre Geschichte aber längst vergessen. Die Villa Fühlingen ist nur noch ein Zeichen aus einer längst vergessenen Zeit.