Berlinale 2008 - 6. Tag: Fröhlichkeit bleibt streitbar...
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Sven schreibt:
Zunächst "Zwischen Tag und Nacht", der Wettbewerbsbeitrag aus Südkorea. Ein junger Künstler flieht wegen eines Drogenvergehens aus Seoul nach Paris, und dort trifft er eine Ex-Freundin und deren Mitbewohnerin, eine junge Kunststudentin. Obwohl er verheiratet ist, lässt das amouröse Treiben da natürlich nicht lange auf sich warten. Ein ruhiger, dennoch lebendiger Film; zwischendrin aufgelockert durch Bilder von Hundescheiße in der Bordsteinrinne, festivalgerecht untermalt mit Beethovens 7. Symphonie. Ist so, wie es auch klingt: ein wenig anstrengend, aber durchaus gut gemacht.
Dann Mike Leighs "Happy-Go-Lucky", ein Spielfilmportrait der dreißigjährigen Grundschullehrerin Poppy, die eigentlich Pauline heißt. Die mag alle ihre Schüler, macht den Führerschein, schüttet sich wochenends mit ihren Freundinnen zu und ist überhaupt ganz unglaublich positiv. Die Charakterstudie als solche ist gelungen, leider ist Sally Hawkins in der Hauptrolle einfach der Gipfel des Nervtötenden. Wer die zwei Stunden lang aushält, hat sich die guten Gags des Drehbuchs redlich verdient.
Der dritte Wettbewerbsbeitrag des Tages war dann der erste, der ausgesprochen kontrovers aufgenommen wurde: es war der Dokumentarfilm "Standard Operating Procedure" über den Folterskandal in Abu Ghreib. Verschiedene betroffene Angehörige des US-Militärs - Täter wie Außenvorgebliebene - äußern sich hier zu den Vorfällen. Dabei erfährt man freilich nichts Großes, was nicht auch jeder durchschnittlich gebildete Leser von Boulevardmagazinen wie dem "Spiegel" schon vor Jahren gewusst hätte. Dazu entblödet sich Regisseur Errol Morris nicht, neben den berüchtigten Photos auch aufgebauscht und überkandidelt inszenierte Nachstellungen zur Illustration des Films zu benutzen, die mitunter an die Grenze zur Geschmacklosigkeit rühren. Ob deswegen ein Drittel des Publikums den Saal verlassen hat, oder ob die sich alle nach "Tropa de Elite" einfach nur beim unspektakulären Waterboarding furchtbar gelangweilt haben? Ich stelle anheim; schockieren jedenfalls kann der Film eigentlich nur noch, wer glaubt, fortschrittliche Zivilisationen müssten im Kriegsfall doch menschenfreundlich und edel sein.
Abends dann den gestrigen hongkongischen Wettbewerbsfilm "Sparrow" nachgeholt, da gestern Nachmittag aus Termingründen sausen gelassen. Es geht um eine Vierergang von Trickdieben, und die - namentlich ihr Anführer - wird kraft einer schönen Frau in ein Duell mit einem mächtigen Gangsterboss verwickelt. "Sparrow" entpuppt sich dabei als ein ungemein frisches und gekonntes Stück Kino: die einfallsreiche Gaunerkomödie ist nicht nur äußerst kurzweilig und unterhaltsam, sondern auch mit Händchen für einen 50er-Jahre Look photographiert und vor allem hervorragend inszeniert. Auf einen Kinostart in Deutschland ist jedenfalls dringend zu hoffen.
Philip schreibt:
Für mich nur zwei Filme heute, dafür aber immerhin einen, um den es sich richtig gelohnt hat: HAPPY-GO-LUCKY des Briten Mike Leigh. Die Grundschullehrerin Poppy ist ein richtiger Sonnenschein; einer von diesen seltenen (und manchmal natürlich durchaus anstrengenden) Menschen, die kein Wässerchen trüben kann - immer am lachen, immer am scherzen, immer versucht anderen Menschen den Tag zu versüßen. Wir begleiten Poppy bei Abenden mit Freunden, in der Schule, bei einer Flamenco-Lektion, am Meer, bei Fahrstunden und bei einem Date. Wer sich im Anschluss der Films die Frage gestellt hat, "Und wo war jetzt die Handlung?", der hat etwas ganz wesentliches nicht verstanden, denn HAPPY-GO-LUCKY (deutscher Untertitel übrigens: Unbeschwert) möchte seinem Publikum vor allem eine singuläre Weltsicht vermitteln, eine Idee, dass man auch einer dunklen Welt mit Freude begegnen kann - und das gelingt ihm ganz ausgezeichnet. HAPPY-GO-LUCKY ist sicherlich der mit Abstand beste Wettbewerbsbeitrag des Jahres - von den wenigen natürlich die ich gesehen habe - und ehrlich gesagt auch einfach eine bittere Notwendigkeit für ein Festival bei dem die Welt vor dem Kinosaal Jahr ein Jahr aus kalt und grau ist.
Auf Wolken zu laufen war uns Kritikern aber nicht lange vergönnt, denn schon der nächste Wettbwerbsfilm hat einen wieder mit der bitteren Realität konfrontiert. STANDARD OPERATING PROCEDURE von Errol Morris, ebenfalls Regisseur von FOG OF WAR, ist eine Dokumentation über die Gräueltaten von Abu Ghraib. Leider keine wirklich gelungene, was vor allem zwei Gründe hat: zum einen wird man als Zuschauer von der Ästhetik des Films erschlagen, sowohl durch die Musik von Danny Elfman, als auch durch die Hochglanzoptik, die besonders schwer in nachgestellten Momenten wog. Der zweite Grund für das Scheitern des Films ist die Tatsache, dass Morris sich zu einem falschen Zeitpunkt um die Wahrheit bemüht. Denn allen betroffenen Interviewten merkt man deutlich an, dass sie - den Gerichtsverhandlungen sei Dank - Monate um Monate von ihren Anwälten gecoacht worden sind, über das WAS sie und WAS SIE NICHT sagen dürfen. Diese Fassade kann auch Morris leider nicht knacken und so bleibt der Film höchstens interessant, weil es ihm gelingt die aus den Medien ausreichend bekannten Fotos von Misshandlungen in Kontext zu rücken.
PS. Übrigens habe ich inzwischen endlich auch meinen gestrigen Eintrag in eine etwas ausführlichere Form gebracht...